Antje Yael Deusel wird für ihre Bamberger Gemeinde ordiniert

Erste deutsche Rabbinerin nach dem Holocaust

Es ist eine mehrfache Premiere: Zum ersten Mal seit dem Holocaust wird eine deutschstämmige Jüdin zur Rabbinerin ordiniert. Ihre 1.000 Jahre alte Bamberger Gemeinde erhält im Herbst mit Antje Yael Deusel zum ersten Mal in der Geschichte eine weibliche Vorbeterin.

Autor/in:
Marion Krüger-Hundrup
Erste deutsche Rabbinerin nach dem Krieg: Antje Yael Deusel (KNA)
Erste deutsche Rabbinerin nach dem Krieg: Antje Yael Deusel / ( KNA )

Für Deusel, die aus Nürnberg stammt, ist es schon das zweite Mal, dass sie in eine Männerdomäne einbricht. Die 50-Jährige ist Fachärztin für Urologie. Die Ordination findet zwar erst im Herbst in Potsdam statt, wo die Ärztin das Abraham-Geiger-Kolleg absolvierte. Für die Angehörigen ihrer Israelitischen Kultusgemeinde in Bamberg aber sei sie jetzt schon die Rabbinerin, erzählt Deusel lachend. Schließlich gestaltet sie als Zweite Vorsitzende der Kultusgemeinde und als Kulturreferentin das jüdische Leben in der Stadt seit Jahren aktiv und temperamentvoll mit. "Ich werde von der Gemeinde akzeptiert", ist sie sich sicher.



Ihre historische Vorläuferin, Regina Jonas, war 1935 die erste Rabbinerin weltweit. Ihre Abschlussarbeit an der Berliner "Hochschule für die Wissenschaft des Judentums" schrieb Jonas zum Thema "Kann eine Frau das rabbinische Amt bekleiden?" Die junge Jüdin kam zum Ergebnis, dass dem "außer Vorurteil und Ungewohntsein fast nichts" entgegenstehe. Doch predigen oder trauen durfte Jonas selbst in der liberalen Berliner Synagoge nicht. 1944 wurde sie im Vernichtungslager Auschwitz ermordet. Nach dem Krieg geriet ihre Pioniertat in Vergessenheit.



Kaum Vorbehalte

Deusel wird nicht mehr mit vergleichbaren Vorbehalten kämpfen müssen. In ihrer 900 Mitglieder zählenden Bamberger Gemeinde hofft sie, nicht nur Gottesdienste und Beerdigungen, sondern auch Hochzeiten sowie die Bar und Bat Mizwa für Buben und Mädchen halten zu können. Als Rabbinerin wird sie Seelsorgerin sein, aber auch Rechtsgelehrte und Wissenschaftlerin.



Die künftige Vorbeterin hat einen langen Bildungsweg absolviert. Sie ging im unterfränkischen Hassfurt ins Gymnasium, studierte Medizin in Erlangen. Nach der Facharztausbildung ließ sie sich in Jerusalem zur Kinderurologin weiterbilden. Seit 1988 arbeitet sie am Bamberger Klinikum. In den vergangenen fünf Jahren standen Hebräisch, Aramäisch, das Studium der Halacha und des Talmud, Jüdische Geschichte und Philosophie, Bibelkunde, Liturgie, Didaktik und Homiletik sowie Gemeindepraxis und Verwaltungskunde auf dem Stundenplan.



Den wissenschaftlichen Unterbau holte sich die ledige Rabbinerkandidatin an der Potsdamer Universität im Fach Jüdische Studien. Für ihre Masterarbeit wählte Deusel ein Thema mit enger Berührung zu ihrem Arztberuf: "Rituelle Beschneidung unter religionsrechtlichen und medizinischen Aspekten". Die lernintensiven Jahre seien ein Kraftakt gewesen, erzählt die Frau. Er habe "viel Disziplin" gekostet und den Verzicht auf Freizeit und Urlaub, weil da ja noch der Klinik-Job zu tun war. Als Rabbinerin wird sie weiter auch als Ärztin tätig sein.



Unter der Asche die Glut aufdecken

In Potsdam sei es ihr nicht um den Erwerb eines weiteren Titels gegangen, betont Deusel nachdrücklich. Sie habe "Edelsteine und Goldmünzen aus der Schatzkammer Judentum" erwerben wollen. Die Mühe habe sich gelohnt. Jetzt gelte es, in ihrer Bamberger Gemeinde "unter der Asche die Glut aufzudecken". Das ist es, was sie unter Tradition versteht.



Nach dem Holocaust hätten sich die wenigen Überlebenden in Deutschland an althergebrachte Traditionen geklammert, sagen jüdische Frauen heute. Eine Rabbinerin passte nicht dazu. Seit gut 15 Jahren bricht diese Barriere langsam auf.



1995 kam die Schweizerin Bea Wyler nach Deutschland und leitete bis 2004 als erste jüdische Geistliche Gemeinden in Delmenhorst und Oldenburg. Im vergangenen November wurde mit einer gebürtigen Ukrainerin erstmals wieder auf deutschem Boden eine Rabbinerin ordiniert. Heute hat Deusel bundesweit drei weitere Kolleginnen mit ausländischen Wurzeln.