"Apotheker ohne Grenzen" helfen bei Medikamentenverteilung in Haiti

Hilfe zwischen Staub und Trümmern

Für die Hilfsorganisation "Apotheker ohne Grenzen" sind zurzeit vier deutsche Pharmazeuten in Haiti. Zu ihnen gehört die Bonnerin Carina Jochum, die für drei Wochen im Erdbebengebiet im Einsatz ist. "Die Zustände sind dramatisch", sagt die 35-jährige über ihre Arbeit in dem Katastrophengebiet.

 (DR)

epd: Wie sieht Ihre Aufgabe für "Apotheker ohne Grenzen" aus?
Jochum: Nach dem verheerenden Erdbeben ist der Bedarf an medizinischer Hilfe groß. Derzeit sollen wir vier Pharmazeuten für eine Verbesserung der Lage sorgen. Gemeinsam mit den Teams unserer Partnerorganisation "humedica" organisieren wir für drei Kliniken und drei Außenstellen die Bereitstellung der Arzneimittel. Wir sollen Ordnung im Chaos schaffen und die Vorräte in der Zentralapotheke im Camp der Helfer inventarisieren. Wir haben aus Deutschland ein sogenanntes "Emergency Health Kit" mitgebracht, eine standardisierte Zusammenstellung von Arzneimitteln wie Antibiotika, Schmerzmittel sowie Verbandsmaterial und Wasserentkeimungstabletten nach den Richtlinien der WHO, mit dem bis zu 10.000 Menschen für zirka drei Monate versorgt werden können.

epd: Wie waren Ihre ersten Eindrücke bei der Ankunft im Erdbebengebiet?
Jochum: Das kann man sich kaum vorstellen, wie viel Staub eine zertrümmerte Stadt aufwirbelt. Die Zustände sind dramatisch. Hier steht nichts mehr. Die Menschen schlafen und leben auf der Straße im puren Dreck. Gleich zu Beginn fuhr ich mit in ein Zeltlager von 15.000 Menschen. Die Zustände auch da waren unbeschreiblich. Wir wurden sofort von Kindern umringt. Die Menschen freuen sich wahnsinnig über jedes Lächeln, über jedes Wort, über jede Berührung.

epd: Wie sieht ein Arbeitstag bei Ihnen aus?
Jochum: Wir verlassen auf der Ladefläche eines Pick-ups unser Gelände, um zu den entsprechenden Kliniken zu fahren. Etwa ins Hospital Espoir, die große chirurgische Klinik, die humedica eingerichtet hat. Ein Unfallchirurg operiert dort ohne Ende, anfangs viele Amputationen, jetzt mehr Trümmerbruchfixationen. Wir haben dort eine Apotheke eingerichtet, gehen aber auch mit auf Visite und setzen Heparinspritzen. Die momentan zirka 50 stationären Patienten liegen auf Betten oder in Zelten im Hof. Es wimmelt hier von Schwerstverletzten, die inzwischen aus der ganzen Gegend gebracht werden. Bis zum Einbruch der Dunkelheit müssen wir aber wieder zurück sein. Die Sicherheitslage hier kann jederzeit kippen. Noch ist eigentlich alles recht friedlich, zumindest bis zum Einbruch der Dunkelheit.

epd: Wie kann man sich ihre Katastrophen-Apotheke vorstellen?
Jochum: Unser Zelt besteht aus drei Kammern. In der größten werden die Patienten entgegengenommen, die mit der WHO-Karte zu uns kommen. Und wir füllen aus Kisten die entsprechenden Pillen in Tütchen und geben mit Übersetzer alle notwendigen Anweisungen. Viele Menschen haben nach dem Erdbeben hier aber auch einfach ein posttraumatisches Belastungssyndrom und irgendwelche "Schmerzen". Da helfen dann auch schon mal Multivitamine.

epd: Sie kritisieren, dass Hilfsorganisationen auch wahllos Medikamente schicken?
Jochum: Leider wurden eben auch Unmengen von Arznei und Material angekarrt, die kein Mensch hier braucht. Wahllose Arzneimittelspenden bringen absolut nichts. Es geht hier um Katastrophenmedizin. Hier werden schwerste Verletzungen versorgt und die Menschen wieder mobilisiert.

epd: Wie sind Sie untergebracht?
Jochum: In einer Schule, die von US-Soldaten bewacht wird. Aber es ist natürlich sehr anstrengend. Wir schlafen auf Isomatten auf einer Wiese. Es ist unglaublich heiß hier. Da kann man nicht mehr als drei Wochen vor Ort arbeiten. Aber ich verkrafte die Zustände hier in Port-au-Prince gut, weil man merkt, dass die Menschen aus dem Nichts wieder aufstehen.

epd: Gibt es also Hoffnung im Erdbebengebiet?
Jochum: Wenn man durch die Straßen fährt, ist das eine Gebäude nur noch ein Schutthaufen, daneben eines ist eingestürzt, und dann steht da ein komplett erhaltenes Haus. Doch alle sind verlassen aus Angst. Die Menschen haben sich ihr Leben auf der Straße eingerichtet, fangen an, sich im Schutt eine neue Existenz aufzubauen. Jeder versucht, irgendwie weiterzuleben, trotz der Trostlosigkeit, trotz all des Staubes, der sich über alles gelegt hat.