Nur ein Teil der in der DDR politisch Verfolgten erhält die "SED-Opferrente"

Die Qual der Erinnerung

20 Jahre nach dem Mauerfall warten viele Opfer der SED-Diktatur noch immer auf eine in ihren Augen angemessene Entschädigung. Opferverbände kritisieren die 2007 beschlossene "Opferrente" als unzureichend und fordern Nachbesserungen.

Autor/in:
Isabel Fannrich-Lautenschläger
 (DR)

Harry Santos war 24 Jahre alt, als die Behörden seinen Ausreiseantrag ablehnten. Dann wollte er fliehen, flog auf und landete im Gefängnis. Nach neun Monaten im Knast kaufte ihn die Bundesrepublik 1983 vorzeitig frei.

Ein Vierteljahrhundert später, im Sommer 2007, wurde sein Antrag auf die soeben vom Bundestag beschlossene "Opferrente" abgelehnt. Denn die "besondere Zuwendung für Haftopfer" in Höhe von 250 Euro monatlich erhält nur, wer in rechtswidriger Weise mindestens sechs Monate inhaftiert war und Rentner oder wirtschaftlich bedürftig ist. Bei Alleinstehenden darf das Einkommen 1.040 Euro im Monat nicht überschreiten, für Menschen in fester Partnerschaft gelten rund 1.400 Euro als Obergrenze.

"Ich hätte das Geld gerne gehabt"
"Das ist sehr niedrig angesetzt", klagt Santos. "Ich bin kein neidischer Mensch", sagt der 54-jährige in Berlin lebende Künstler. "Aber ich hätte das Geld gerne gehabt." So wie er denken heute viele SED-Opfer und fordern gesetzliche Nachbesserungen. Historiker schätzen, dass während der gesamten DDR-Zeit zwischen 150.000 und 280.000 Menschen aus politischen Gründen inhaftiert waren.

Bis Mitte 2008 haben bundesweit rund 60.200 Menschen die "Opferrente" beantragt. Fast Zweidrittel erhielten einen positiven Bescheid. Beim Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales häuften sich bis Ende 2008 fast 10.000 Anträge, von denen bisher rund 6.800 bewilligt wurden. "Monatlich kommen nur noch etwa 50 Anträge. Es wird weniger", sagt Irmgard Öhlert, die zuständige Abteilungsleiterin.

Ein Grund dafür, dass viele den Gang zur zur Behörde scheuen, liegt in ihrer Traumatisierung. "Für viele ist es noch nach 20 Jahren eine Qual sich zu erinnern", erklärt Öhlert. Doch ohne den Blick zurück gibt es weder Opferrente noch andere Gelder. Wer sich mit 307 Euro pro Haftmonat entschädigen lassen will, muss sich zuerst strafrechtlich rehabilitieren lassen. Und wer als Opfer von Verwaltungswillkür oder im Berufsleben politisch Verfolgter Ausgleichszahlungen beantragen möchte, muss seine gesundheitlichen oder finanziellen Folgeschäden belegen.

Mario Röllig traf seinen früheren Stasi-Offizier aus Hohenschönhausen 1999 im Berliner Kaufhaus KaDeWe wieder. Als der ihn erneut als "Verbrecher" beschimpfte, brach Röllig zusammen: "Alle Verhöre, alle Erlebnisse aus dem Gefängnis kamen zurück."

Danach war sein Lebensmut verschwunden. Es folgten ein Selbstmordversuch, Therapien und stationäre Aufenthalte in der Psychiatrie. Heute bezieht der 41-Jährige, eine Erwerbsunfähigkeitsrente und einen Berufsschadensausgleich. "Ich bin stolz, dass ich als Opfer der Diktatur anerkannt bin", sagt er. "Aber aus der Opferrente werde ich wie viele andere Leute ausgegrenzt."

Benachteiligt sind auch diejenigen, die nur kurz inhaftiert waren.
"In der Unterbewertung von zwei, drei oder vier Monaten Stasi-Haft liegt ein unbegreiflicher Zynismus der Politik", heißt es in einem Brief des "Bündnis von Opfer- und Verfolgtengruppen, die von der 'Opferrente' ausgeschlossen sind" an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): "Denn es waren gerade die ersten Monate, die in der Stasi-'U-Haft' die härtesten und die grausamsten waren."

"Die Opferrente ist unbefriedigend geregelt, weil sie eine Schlechterstellung gegenüber den NS-Verfolgten bedeutet", kritisiert Hubertus Knabe, Leiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Er fordert eine "Ehrenpension" in Höhe von 707 Euro auch für alle ehemals politisch Verfolgten aus der DDR - unabhängig von Einkommen und Haftzeit.