Kardinal Lehmann: Nach Nokia über Wirtschaftsethik sprechen - Christliche Gewerkschaft gegen klassische Subventionen

Globalisierung ist "unbewältigt"

Angesichts der Schließungspläne für das Bochumer Nokia-Werk hat der Mainzer Kardinal Karl Lehmann eine Debatte über ethische Standards in der Wirtschaft gefordert. Die wirtschaftliche Globalisierung sei "unbewältigt", sagte der scheidende Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz der in Essen erscheinenden "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung". "Hier bekommen wir ganz besonders die dunklen und schädlichen Seiten zu spüren."

 (DR)

Gerade wenn dem Handy-Hersteller Nokia keine rechtlichen Verstöße nachgewiesen werden könnten, blieben viele Fragen, sagte Lehmann:
"Wie weit gibt es in der heutigen Wirtschaft ethische Standards? Wie ist der 'Superkapitalismus' (Robert Reich) zu bändigen?" Diese Fragen müssten die Diskussion bestimmen, forderte der Mainzer Bischof.

Er bedauere "natürlich wie jedermann, dass es zur Schließung des Bochumer Werkes von Nokia und zum Verlust so vieler Arbeitsplätze im Werk und bei den Zulieferfirmen kommen wird", so Lehmann. Zuerst müssten nun neue Arbeitsplätze vermittelt werden, um den betroffenen Menschen zu helfen.

15.000 demonstrieren gegen Schließung
Rund 15.000 Menschen hatten am Dienstag gegen die Schließung des Nokia-Werkes in Bochum protestiert. Dabei erhielten die Nokianer auch Unterstützung von Belegschaften benachbarter regionaler Werke, etwa von Opel, Ford und Mercedes Benz. Vertreter von Politik, Gewerkschaften und Kirchen sprachen sich gegen die Schließung des Handy-Produktionswerkes aus und kritisierten den Verlust von allein 2.300 festen Arbeitsplätzen.
Die Gewerkschaften geben sich kämpferisch, doch die Stimmung in Bochum schwankt zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, berichtet Detlef Lutz von der Christlichen Gewerkschaft Metall im domradio Interview.

Die letzten Proteste gegen Werksschließungen zum Beispiel bei Siemens und AEG gingen verloren, erklärt Lutz, und auch die Kontakte zur finnischen Gewerkschaft seien nicht sehr ermutigend gewesen. Nokia sei ein knallharter Verhandlungspartner, hätte es im Heimatland des Mobilfunk-Herstellers geheißen.

Politik muss Einfluss frühzeitig sichern
Um solche Vorgänge, wie jetzt bei Nokia, zukünftig zu verhindern, schlägt Detlef Lutz vor, dass die Subventionsgeber, also das Land oder der Bund, mit den Firmen nicht nur Bindungsfristen vereinbaren, sondern sich als Kapitalgeber an den Unternehmen beteiligen. So würde der Staat einen Sitz im Aufsichtsrat erhalten und könne an der Seite der Arbeitnehmer Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen nehmen, erläutert der Gewerkschaftsvertreter seinen Vorschlag.

Ruhrbischof Genn hatte nach Bekanntwerdung der Schließung gemahnt: "Im Mittelpunkt des Wirtschaftens steht der Mensch. Arbeit ist eine fundamentale Dimension menschlicher Existenz." Ökonomische Gründe allein dürften nicht den Ausschlag für die Firmengestaltung geben. Unternehmerisches Handeln solle die Verantwortung für Arbeitnehmer nicht ausblenden, so der Ruhrbischof weiter.

Demo in Bochum
Auf der Kundgebung in Bochum beklagte IG-Metall-Chef Berthold Huber, dass der Weltkonzern Nokia Profit gemacht und damit "die Existenzen vieler Familien zerstört" habe. Nokia hinterlasse "verbrannte Erde in Bochum", sagte er vor den Demonstranten.

Die IG Metall kündigt der Unternehmensführung von Nokia einen harten Kampf um die Arbeitsplätze im gefährdeten Bochumer Werk an. Der Vorsitzende der Gewerkschaft, Berthold Huber, sagte am Dienstag im Bayerischen Rundfunk wenige Stunden vor der Solidaritätskundgebung, es gebe eine "knüppelharte Auseinandersetzung", wenn das Management nicht von seiner Position abrücke. "Und wir halten das durch, und wenn es sein muss wochen- und monatelang", fügte er hinzu.

Huber sagte, nach den Entlassungen bei BenQ und AEG und der angekündigten Schließung des Nokia-Werkes gebe es "keinen anderen Weg" als zu kämpfen: "Wir brauchen solide Unternehmen, die nicht nur ihren Gewinn sehen, sondern auch wissen, dass man gute Gewinne nur erzielen kann mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die etwas können und Leistung einbringen, so wie das bei Nokia 20 Jahre der Fall war", erklärte er.

Merkel entsetzt
Berthold Huber hat nach eigenen Worten am Montag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über die Vorgänge in Bochum gesprochen. Merkel sei "gleichfalls entsetzt über die Art und Weise", wie das Nokia-Management vorgehe. Die Gespräche in Finnland zwischen dem Management und Vertretern des Betriebsrates haben nach Darstellung des IG-Metall-Vorsitzenden kein Ergebnis gebracht. Das Management habe "die harte Linie eingeschlagen", so Huber, und entsprechend werde dann die Antwort ausfallen.

Dabei setzt die Gewerkschaft nach Hubers Worten klare Prioritäten: "Wir kämpfen als erstes um die Arbeitsplätze in Bochum. Und wenn es keinen Ausweg mehr gibt, kämpfen wir um einen Sozialtarifvertrag. Dort sind wir dann streikfähig, im Gegensatz zu einem Sozialplan."

Nokia-Entscheidung nicht nachvollziehbar
Unterdessen äußerte sich auch Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) zur Nokia-Werksschließung. "Ich hoffe, dass die Gespräche, die derzeit geführt werden, dazu führen, dass man einen Teil der Produktion oder der Entwicklung oder was immer möglich ist, weiter betreibt", sagte Glos in Berlin. Sollte dies in den Gesprächen nicht erreicht werden, dann sollten die Gespräche zumindest dazu führen, "dass man sich entsprechend um die Arbeitnehmer kümmert". Zudem seien die Gründe für die Entscheidung von Nokia nicht "voll nachvollziehbar". Er bedauere die Entwicklung sehr.

Nokia hatte am Dienstag vergangener Woche mitgeteilt, seine Handyproduktion in Deutschland einzustellen und den Standort Bochum bis Mitte 2008 zu schließen. Rund 2300 Beschäftigte sind betroffen, zudem sind bis zu 2000 Stellen bei Zulieferern und Leiharbeitern in Gefahr. Obwohl keine roten Zahlen geschrieben werden, soll die Produktion nach Rumänien verlegt werden.