ARD zeigt Dokumentation über "Fußball als Ersatzreligion"

Zwischen Fußballplatz und Kapelle

Gesang, Rituale, äußere Erkennungszeichen: Religion und Fußball haben manches gemeinsam. Einige Fans sehen sogar den Sport selbst als Religion. Ein Film begleitet sie mit neugierigem, aber auch kritischem Blick.

Autor/in:
Paula Konersmann und Sabine Just
Kinder spielen Fußball (dpa)
Kinder spielen Fußball / ( dpa )

In ihren stärksten Momenten wird die Doku selbst zu einem Spiel. Gleich zu Beginn etwa spielt sie mit der Erwartung des Zuschauers: Sakral anmutender Gesang ertönt. Doch zu sehen sind Fußballfans, dann Spieler, die über den Rasen schreiten. Die Bilder wechseln ab mit betenden Menschen und Messdienern, die ein Weihrauchfass schwenken. Und nach einigen Tönen erkennt man das Lied: eine Abwandlung der Fußball-Hymne "You'll Never Walk Alone".

Deren Text ist ein Beispiel für die Parallelen von Fußball und Religion, die Regisseur Janos Kereszti zeigen möchte. "Hab keine Angst vor der Dunkelheit", heißt es in dem Song etwa. Den Refrain schmettern Fans in den Stadien der Welt: "Lauf weiter, mit Hoffnung im Herzen - du wirst niemals alleine laufen." Die ARD zeigt die Spurensuche zwischen Fußballplatz und Kapelle am Sonntag um 17.30 Uhr in der Reihe "Gott und die Welt".

"Wir leben Schalke"

Bei Familie Hahn sind alle Schalke-Fans. "Wir leben Schalke", sagt Opa Wilfried. Für Spiele werden Familienfeiern schon mal verschoben, ergänzt Oma Jutta. Übertrieben, mag mancher sagen. Andererseits hält der Ruhrgebietsverein die Familie zusammen: Von den Großeltern bis zu den Enkeln pflegen alle das Ritual des wöchentlichen Stadionbesuchs.

Die Liebe zum Verein sei neben der Familie die Konstante in seinem Leben, sagt Wilfried Hahn. Und wie früher der Glaube von Generation zu Generation weitergegeben wurde, so vererbt er die Fußballbegeisterung.

"Nah an Religion"

Wenn Christoph Daum sagt, Fußball sei sein Leben, überrascht das weniger. Der 62-Jährige war Trainer mehrerer Bundesligavereine, unter anderem vom 1. FC Köln. Bevor er im Jahr 2000 über eine Kokain-Affäre stolperte, sollte er Bundestrainer werden. 2006 kehrte er "als verlorener Sohn" nach Köln zurück und erlebte eine "sportliche Wiederauferstehung", heißt es im Film - diese Metaphern werden vielleicht etwas zu häufig bemüht.

Heute erscheint Daum reflektiert. "Fußball ist keine Religion. Das würde mir zu weit gehen", sagt er. Auch Regisseur Kereszti erklärt im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur, er könne es "nicht so ganz nachvollziehen", wenn Fußball zum absoluten Lebensmittelpunkt werde. Viele Fans meinten mit dem Vergleich zur Religion, "dass es für sie nichts Wichtigeres gibt, dass es sie emotional berührt - und, dass sie dort Gemeinschaft erleben", erklärt er. "Das ist nah an Religion."

Ausgang ungewiss

Eugen Eckert, evangelischer Stadionpfarrer bei Eintracht Frankfurt, bestätigt diese Gemeinsamkeiten. Im Film fragt er eine Gruppe Firmlinge, was zum Fußball dazugehöre. "Ein gepflegtes Foul", sagt einer. Eckert schmunzelt und hakt nach: Was ein Foul eigentlich sei? Ein Regelverstoß, stellt sich heraus. Insofern sei ein Fußballspiel ein Bild für das Leben, meint der Geistliche: "Das Spiel hat einen Anpfiff und einen Abpfiff - wir werden geboren, wir sterben." Und: "Keiner weiß, wie es ausgeht."

Doch die Religion gehe über die Lieblingssportart der Deutschen "weit hinaus", betont Eckert. Sie stelle nämlich Sinnfragen: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was trägt mich? Kereszti schließt sich dieser Einschätzung an. "Vielleicht hat Fußball heute Funktionen, die früher vor allem die Kirche angeboten hat. Aber ich glaube nicht, dass Fußball die Religion ersetzen kann." Eine Konkurrenz zwischen Stadion- und Gottesdienst-Besuch sieht Pfarrer Eckert nicht. Die Kirche sei im Stadion ja gerade präsent, "damit ein Miteinander möglich ist."

Denkanstöße und Ansatzpunkte

Die Fußballfans im Film sind echte Originale, Daum und Eckert geben manchen Denkanstoß. So erzählt der Coach, in der Türkei - wo er nach seinem öffentlichen Absturz arbeitete - würden Trainer "Hodscha" genannt, wie die islamischen Religionsgelehrten. Viele wehrten sich gegen diesen Vergleich - vergebens. Die Wertschätzung sei "unheimlich hoch", so Daum.

Auch Spieler würden oft "zu Übermenschen" gemacht, ergänzt Eckert. Dass dies zu Überforderung führen kann oder wie manchen Stars ihr Glaube hilft, auf dem Boden zu bleiben - das könnten spannende Ansatzpunkte für eine mögliche Fortsetzung sein. Fürs erste bietet die Dokumentation das, was Daum in erster Linie auch von einem Fußballspiel erwartet: gute Unterhaltung.


Quelle:
KNA