Nordkirche legt Expertenbericht zu Missbrauchsskandal vor

"Beschämend und erschütternd"

Die evangelische Nordkirche hat zahlreiche Fälle sexuellen Missbrauchs durch Pfarrer von einer Expertenkommission aufarbeiten lassen. Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs bezeichnete den Abschlussbericht als "beschämend und erschütternd".

Kirsten Fehrs (dpa)
Kirsten Fehrs / ( dpa )

Demnach führte die nordelbische Kirche von 1993 bis 2012 insgesamt 16 Disziplinarverfahren gegen 14 Pastoren. Ihnen wurden sexuelle Handlungen - von der Belästigung bis zum Missbrauch - an Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen im Rahmen der Seelsorge vorgeworfen. Die Taten geschahen zwischen 1973 bis 2011 und sind in vielen Fällen strafrechtlich verjährt.

Fehrs dankte den Opfern für ihre Offenheit, ohne die die Kirche nicht hätte verstehen können, was vorgefallen sei. "Wir als Institution Kirche sind schuldig geworden. Wir als Kirche tragen Verantwortung für Ihre Verletzungen."

Neue Beratungsstellen

Mit einem Zehn-Punkte-Plan will die evangelische Nordkirche künftig sexuellen Missbrauch verhindern. Damit reagierte die Nordkirche auf den 500 Seiten starken Abschlussbericht der Unabhängigen Kommission, der insbesondere die Missbrauchsfälle in der Kirchengemeinde Ahrensburg bei Hamburg aufarbeitet. "Es bleibt ein furchtbares Thema, das an die Seele geht", sagte die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs am Dienstag bei der Präsentation des Abschlussberichts. Unter anderem soll es neue Beratungs- und Hilfestellen sowie überarbeitete Richtlinien zur Jugendarbeit geben.

Untersucht wurden sechs Fälle in Gemeinden und einer Kita. Neun Opfer, 24 Zeitzeugen und 16 kirchliche Mitarbeiter wurden für den Bericht intensiv befragt. Für Schlagzeilen hatte vor allem die Gemeinde Ahrensburg gesorgt. Der pensionierte Pastor Dieter K. hatte eingeräumt, über 20 Jahre hinweg ein Dutzend Jugendliche missbraucht zu haben und quittierte daraufhin den Dienst. Die Fälle waren erst 2010 öffentlich geworden. Der Mann ging straffrei aus, seine Taten waren verjährt. Infolge des Skandals war die Hamburger Bischöfin Maria Jepsen zurückgetreten.

"Das erste Telefonat ist entscheidend"

Zu den drei neuen Einrichtungen zählen eine Arbeitsstelle für sexualisierte Gewalt und ein qualifiziertes Beschwerdemanagement. Darüber hinaus soll eine Zentrale Meldestelle mit einem Kriseninterventions-Team geschaffen werden, das unmittelbar nach Bekanntwerden der Fälle eingreift. Wichtig sei eine schnelle und qualifizierte Reaktion, sagte Ursula Enders, Mitautorin des Berichts und Leiterin der Beratungsstelle "Zartbitter" in Köln. Hier seien auch bei dem jüngsten Missbrauchsfall in einer Hamburger Kita Fehler gemacht worden. Enders: "Das erste Telefonat ist entscheidend."

Außerdem sollen neue Richtlinien für die Kinder- und Jugendarbeit erlassen werden. Neben einem erweiterten Führungszeugnis soll arbeitsrechtlich festgeschrieben werden, dass sexuelle Beziehungen zwischen Jugendlichen und Mitarbeitenden strikt verboten sind. Für die Kinder- und Jugendarbeit sollen flächendeckend Qualitätsrichtlinien gelten. Insgesamt enthält der Bericht 155 Empfehlungen.

Nach der juristischen Auswertung des Abschlussberichts will die Nordkirche ein Disziplinarverfahren gegen die frühere Ahrensburger Pröpstin anstrengen. Fehler habe es allerdings auf allen Ebenen der Gemeinde gegeben, sagte die Mitautorin und Rechtsanwältin Martina Lörsch. Auch die Lokalpresse habe Hinweise erhalten und sei ihnen nicht nachgegangen.

Rörig: Mitwissende sollen handeln

Einen "verdienstvollen Bericht" nannte Anselm Kohn, Vertreter der Opferinitiative Ahrensburg, die Aufarbeitung. Die Kirche müsse das Thema aber weiter verfolgen. Die Hamburger Pröpstin Ulrike Murmann dankte den Opfern für ihre Offenheit bei der Aufarbeitung. Es gebe in der Nordkirche einen neuen Umgang mit sexualisierter Gewalt. Die Missbrauchsfälle würden die Gemeinde Ahrensburg bis heute prägen und hätten zu einer tiefen Spaltung geführt.

Der Unabhängige Missbrauchsbeauftragte Johannes-Wilhelm Rörig begrüßte die Aufarbeitung der Nordkirche. Er hoffe, dass dieser Bericht "Vorbildfunktion für weitere Landeskirchen, Kirchenkreise und Einrichtungen in der evangelischen Kirche" habe, sagte er dem epd in Berlin. Nach seinen Worten sollte künftig der Blick mehr auf die Mitwissenden von Missbrauchsfällen gelenkt werden. Sie sollten ermutigt werden, "nicht länger wegzuschauen und zu handeln".


Quelle:
dpa , epd