Konrad-Adenauer-Stiftung zum Stand der Nahost-Verhandlungen

Echte Krise der Gespräche

Die Nahost-Friedensgesprächen sind vom Scheitern bedroht. Michael Mertes, der Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem, mit einer Einschätzung der Situation.

Mienen sprechen Bände: Abbas und Obama (dpa)
Mienen sprechen Bände: Abbas und Obama / ( dpa )

domradio.de: Warum hat Palästinenser-Präsident Abbas denn die Gespräche beendet?
Michael Mertes: Ich glaube, es ist voreilig von einer Beendigung und einem Scheitern der Gespräche zu sprechen. Wir befinden uns im Moment in einer echten Krise der Gespräche, das ist richtig, und beide Seiten pokern extrem hoch. Ich betrachte den Schachzug von Abbas, jetzt die Mitgliedschaft in verschiedenen internationalen Organisationen zu beantragen, als ein Drohmittel, ein Druckmittel, um sein Ziel zu erreichen, nämlich die Freilassung von palästinensischen Gefangenen, aber ich sehe noch nicht, dass die Gespräche endgültig gescheitert sind.

domradio.de: Wie reagiert denn Israel auf den Antrag der Palästinenser bei den Vereinten Nationen?
Mertes: Israel reagiert auf diesen Antrag mit Sorge. Die Möglichkeit, die sich den Palästinensern durch Mitgliedschaft in solchen internationalen Organisationen eröffnet, besteht vor allem darin, so die israelische Sicht, Israel in der Weltgemeinschaft anzuschwärzen und zu isolieren. Diese rechtlichen Möglichkeiten werden durchaus ernst genommen und als ein Akt der schweren Störung der Gespräche wahrgenommen. Insofern nimmt Israel das sehr ernst.

domradio.de: Man gibt ja immer gern Israel die Schuld, wenn die Friedensgespräche wieder einmal scheitern. Inwiefern kann man denn diesmal der Regierung Netanjahu die Schuld geben?!
Mertes: Zunächst einmal: Die Gespräche sind noch nicht gescheitert! Sie sind sicher nah an einem Scheitern, aber noch ist nicht das Ende des Tages erreicht. Wenn es ein Scheitern gibt, dann wird man sehr genau hinschauen müssen, welche Seite welchen Anteil daran hat. Es gibt hier im Nahen Osten ein Spruch, der das sehr schön zum Ausdruck bringt: Zum Tango gehören immer zwei. Und auf beiden Seiten gibt es Hardliner, die gar nicht daran interessiert sind, dass es zu einer Einigung kommt. Das sind die national-religiösen Rechten in Israel auf der einen Seite und die Radikalislamisten von der Hamas auf der palästinensischen Seite. Und diese beiden Gruppen üben einen enormen innenpolitischen Druck auf die jeweiligen politischen Akteure aus. Also man sollte, wenn wir schon ein potentielles Scheitern vorwegnehmen, auf beiden Seiten nach dem Schuldigen suchen.

domradio.de: Sind Netanjahu und Abbas die richtigen Persönlichkeiten, um einen möglichen Frieden zwischen den beiden Völkern auf den Weg zu bringen?
Mertes: Sehr gute Frage! Ich glaube, um bei Abbas anzufangen, dass er ernsthaft eine friedliche Lösung möchte. Anders als sein Vorgänger Arafat ist er gegen Gewalt eingestellt. Aber irgendwann wird er zu dem Punkt kommen, an dem er sagt: Es hat keinen Zweck mehr. Wir geben die ganze Sache auf, wir geben das Ziel der Zwei-Staaten-Lösung auf. Israel, bitte übernehmen! Für Israel wäre das eine Katastrophe, weil es nämlich bedeuten würde, dass seine Existenz als jüdischer Staat langfristig gefährdet wäre. In einem bi-nationalen Großisrael gäbe es innerhalb weniger Jahre eine arabische Mehrheit, und damit wäre Israel als jüdischer Staat hochgradig gefährdet. Auf der israelischen Seite, Sie sprechen Netanjahu an, denke ich, dass er es durchaus ernst meint mit der Zwei-Staaten-Lösung. Er hat immer wieder auch genau dieses demografische Argument dafür verwendet. Er hat das Problem, dass innerhalb seiner eigenen Partei, dem Likud, diejenigen, die keinen Quadratzentimeter Boden von Judäa und Samaria preisgeben wollen, inzwischen sehr, sehr stark sind. Er steht innerhalb seiner eigenen Partei, wenn man so will, auf dem linken Flügel und hat mit der nationalreligiösen Partei einen Koalitionspartner, der strikt dagegen ist, auch nur einen Quadratzentimeter dieses Bodens aufzugeben. Die Frage ist also: Wie risikobereit ist Netanjahu? Ist er bereit, unter Umständen auch seine eigene Position und seine eigene Koalition aufs Spiel zu setzen, um zu einem Kompromiss zu kommen.

domradio.de: Wie wird es nun weiter gehen? Wie denken denn die Palästinenser über dieses Thema?
Mertes: In den palästinensischen Gebieten lässt sich in letzter Zeit eine zunehmende Skepsis und eine zunehmende Kritik an Abbas beobachten. Abbas wird vorgeworfen, sein Weg des Kompromisses, sein Weg der Gewaltlosigkeit führe im Grunde genommen zu nichts. Das ist gefährlich, weil es der Hamas in die Hände spielt. Insofern ist Israel gut beraten, Abbas einen Prestigeerfolg zu gönnen. Und der zweite Punkt, den man unbedingt sehen muss: In den palästinensischen Gebieten gibt es sehr starke Kräfte – ich habe die Hamas bereits genannt ‑, die letzten Endes gegen einen Kompromiss sind.

 

In den Friedensgesprächen zwischen Israelis und Palästinensern wird derzeit hoch gepokert. Das sagt Michael Mertes, der Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem. Vielen Dank für Ihre Einschätzung!


Quelle:
DR
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