Marburger Bund pocht auf Streikrecht

"Arbeitnehmer sind keine Statisten"

Der Marburger Bund pocht weiter auf ein Streikrecht auch in kirchlichen Krankenhäusern. Eine Einbindung der Gewerkschaften in die kirchliche Tariffindung ohne ein Streikrecht reiche nicht aus, sagt Rudolf Henke, Vorsitzender der Ärztegewerkschaft.

Streikrecht auch für Ärzte? (dpa)
Streikrecht auch für Ärzte? / ( dpa )

KNA: Herr Henke, passen Streiks zu kirchlichen Krankenhäusern?

Henke: Streiks in Krankenhäusern sind immer problematisch. Auch in nichtkirchlichen Häusern müssen Ärzte ihre Notfallverpflichtungen ernst nehmen. Die Funktionalität der Krankenhäuser muss auch bei Tarifkonflikten erhalten bleiben. Das dafür geeignete Instrument bei Streiks sind Notdienstvereinbarungen. Da gibt es keine Unterschiede zwischen kirchlichen, kommunalen oder privaten Kliniken.

KNA: Wie steht es um die angekündigte Klage der Gewerkschaften gegen das kirchliche Arbeitsrecht?

Henke: Wir haben die Beschwerde in Karlsruhe eingereicht. Bei seinem Zeitplan lässt sich das Bundesverfassungsgericht nicht in die Karten schauen. Wir gehen davon aus, dass wir Recht bekommen. Falls unsere Klage aber aus formalen Gründen abgelehnt würde, planen wir, auch den europäischen Rechtsweg zu nutzen.

KNA: Welche formalen Gründe könnten denn zur Ablehnung führen?

Henke: Eigentlich haben wir mit unserer Klage vor dem Bundesarbeitsgericht ja gewonnen - da ist es schwierig, in die nächste Instanz zu gehen. Laut dem Urteil aus Erfurt sind Streiks in kirchlichen Betrieben nicht ausgeschlossen, was unsere Position stärkt. Unsere Beschwerde in Karlsruhe richtet sich gegen einen ins Urteil eingestreuten Nebenaspekt: Das Bundesarbeitsgericht hat festgelegt, dass kirchliche Mitarbeiter nur dann streiken dürfen, wenn der Arbeitgeber Kirche bestimmte Bedingungen nicht erfüllt. Das ist unserer Ansicht nach mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, weil es damit dem Arbeitgeber Kirche in die Hand gegeben wird, ob die Mitarbeiter streiken. Für uns ist die Koalitionsfreiheit und damit auch das Streikrecht ein Grundrecht, das unverzichtbar ist und nicht von Bedingungen des Arbeitgebers abhängig gemacht werden darf.

KNA: ...Was mit anderen Worten heißt, dass Sie auch Abmachungen wie die zwischen Diakonie und verdi sowie Marburger Bund in Niedersachsen nicht akzeptieren können...

Henke: In Niedersachsen gibt es zunächst einmal nur eine Prozessvereinbarung, die sicherstellt, dass es zeitnah Vergütungserhöhungen für die Diakoniemitarbeiter gibt. Beide Seiten haben zudem ihre Absicht bekundet, dass sie künftig Tarifverhandlungen durchführen wollen. Über das Streikrecht werden wir in diesen Verhandlungen natürlich sprechen müssen. Wir halten das für unerlässlich. Deshalb können die Verhandlungen dort auch noch scheitern.

KNA: In der evangelischen Kirche gibt es da offenbar sehr unterschiedliche Modelle...

Henke: Und diese Vielfalt zeigt uns, dass selbst in der Kirche nicht mehr davon ausgegangen wird, dass der kircheneigene Dritte Weg im Arbeitsrecht unverzichtbar ist. Wir haben in Hamburg beispielsweise mit dem Albertinen-Diakoniewerk, einem der größten Gesundheitsdienstleister der Stadt, Tarifverträge abgeschlossen, die ein Streikrecht einschließen. Es geht also.

KNA: Schaut man sich die letzten Tarifabschlüsse für Ärzte an kirchlichen Krankenhäusern an, so vollziehen sie doch sowieso nach, was die Gewerkschaften mit den kommunalen Krankenhäusern abgeschlossen haben. Braucht es da überhaupt noch ein Streikrecht?

Henke: Für die letzten Jahre kann man das so sehen. Da haben die Kirchen es sich recht bequem gemacht und die anderen verhandeln lassen. Es ist ja auch nachvollziehbar, dass kirchliche Arbeitgeber sich in Zeiten des Ärztemangels marktkonform verhalten müssen. Aber ich erinnere mich auch noch an Zeiten, als Kollegen arbeitslos waren: Da sind die kirchlichen Arbeitgeber eigene Wege gegangen und hatten Vergütungstabellen, die deutlich unter denen der mit den Gewerkschaften ausgehandelten Tarifen lagen. Aber für uns ist das Streikrecht auch eine prinzipielle Frage - was die Kirchen theoretisch ja auch so sehen.

KNA: Warum?

Henke: Sozialpartnerschaft, Mitbestimmung, Mitverantwortung lassen sich auch aus der katholischen Soziallehre und der evangelischen Sozialethik ableiten. Auch nach kirchlicher Lehre sind Arbeitnehmer keine Statisten - nur dass die Kirchen das im eigenen Bereich nicht so richtig umsetzen. Wir fühlen uns im Konflikt um das Streikrecht ganz im Einklang mit der kirchlichen Lehre.

KNA: Das Bundesarbeitsgericht hat auch festgelegt, dass die Gewerkschaften in den kirchlichen Tarifkommissionen angemessen beteiligt werden müssen. Wie soll das aussehen?

Henke: Da warten wir gespannt darauf, was die Kirchen vorlegen. Sie müssen da Modelle erarbeiten. Von der Ernsthaftigkeit dieser Modelle wird die Zukunft des Dritten Weges abhängen, sonst ist es vielleicht einfacher, sich von vornherein für den zweiten Weg zu entscheiden.

 


Quelle:
KNA