Philosoph Zaborowski über Erwartungen an Obamas zweite Amtszeit

US-Bürger auf Orientierungssuche

Viele US-Bürger wünschen sich von ihrem frisch wiedergewählten Präsidenten Orientierung in Zeiten der Krise, sagt der Philosoph Holger Zaborowski im domradio.de-Interview. Er hat lange an der Katholischen Universität in Washington gelehrt. Gerade die sogenannte Generation 9/11 sei auf der Suche nach Sinn im Leben.

 (DR)

domradio.de: Was sagen Sie zu dem Wahlergebnis?

Zaborowski: Ich bin froh, dass Obama wiedergewählt wurde. Ich denke, es war am Ende sehr knapp, aber vermutlich hat dann noch die Katastrophe der letzten Woche geholfen, in der Obama sich ja sehr gut gezeigt hat und bewiesen hat, dass er das Land durchaus führen kann.



domradio.de: Die USA gelten als Weltmacht in der Krise. Wie werden die USA mit Obama weiterhin als Präsident in Zukunft aussehen?

Zaborowski: Das ist schwer vorherzusehen, weil er natürlich in den letzten Jahren sehr vorsichtig in sehr vielen Fragen agieren musste, denn er wusste, eine mögliche Wiederwahl steht an. Es war für ihn auch nicht einfach zu regieren, weil die Republikaner ihn oft ausgebremst haben. Das könnte sich jetzt ändern. Er könnte in seiner zweiten Amtszeit wesentlich freier agieren, weil er jetzt nicht darauf achten muss, dass er wiedergewählt wird. Es ist in der Vergangenheit oft so gewesen, dass die zweite Amtszeit tatsächlich für grundlegende Reformen genutzt wurde, sie sind sicherlich notwendig.



Obama stößt aber auch auf ein Land, das in sich gespaltet ist. Es wird also nicht sehr leicht werden, die Reformen durchzuführen. Er stößt auf sehr viel Widerstand von Seiten ganz unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen. Ich habe gerade gelesen, dass Donald Trump schon zum Widerstand gegen dieses Wahlergebnis aufgerufen habe, das ist natürlich rhetorisch sehr zugespitzt, aber es signalisiert schon, dass er anders als in vielen europäischen Ländern als amtierender Präsident mit sehr viele Missverständnis und Widerstand zu rechnen hat.



domradio.de: Es gibt viele Klischees rund um Amerika: das Land der Träume, die neue Welt. Stimmen diese Namen denn heute überhaupt noch?

Zaborowski: Sie stimmen, wenn man sie nimmt als das, was sie sind: Dass sie nämlich alle einen bestimmten Aspekt der USA bezeichnen. Wenn man sie sich einzelnen anschaut, stellt man fest, es gibt tatsächlich eine sehr große Möglichkeit von Freiheit für sehr viele. Es gibt natürlich unbegrenzte Möglichkeiten. Auf der anderen Seite muss man viele dieser Klischees auch sehr stark relativieren, weil das Land innerlich sehr zerrissen ist und weil wir natürlich dazu tendieren, ein wenig diese Klischees als Formel zu nutzen, um ein äußerst komplexes Land zu begreifen. Man kann für jedes Klischee immer auch ein Gegenklischee finden. Es ist bei weitem nicht mehr so, dass tatsächlich jeder, der in die USA zieht oder dort lebt, unbegrenzte Möglichkeiten hat. Ganz im Gegenteil.



domradio.de: Sie waren sieben Jahre lang in den USA, unterrichteten dort Philosophie an der Katholischen Universität von Amerika in Washington. Was war ihr Eindruck  von den jungen Amerikanern?

Zaborowski: Das war durchweg ein sehr positiver Eindruck, die Studenten, die ich dort erlebt habe, waren auch politisch sehr engagiert. Das ist die sogenannte Generation 9/11, auf die ich da gestoßen bin. Das sind also jene, für die der 11. September in die Zeit der Kindheit, Teenagerzeit gefallen ist und das ist oft das zentrale Ereignis gewesen. Das hat bedeutet, dass sie sehr irritiert sind, sie sind nicht mehr aufgewachsen mit den USA als DER großen starken unverwundbaren Nation. Sie suchen sehr stark auch nach Orientierung, auch nach Sinn im Leben. Das führt dazu, dass in der Philosophie oder der Theologie die Fragen der Studenten, sehr ernsthafte Fragen sind.



domradio.de: Wenn wir auf die neue Amtszeit blicken von Barack Obama. Welche Erwartungen haben gerade die jungen Menschen an ihren wiedergewählten Präsidenten?

Zaborowski: Ich glaube, es gibt verschiedene Arten von Erwartungen, es gibt ganz konkrete Erwartungen, die betreffen Arbeitsplätze, die betreffen Fragen der wirtschaftlichen, finanziellen Situation. Es geht vielen Amerikanern sehr schlecht, es gibt viele Amerikaner, die mehrere Jobs haben müssen, die Depression/ Rezession wirkt sich eben aus. Es gibt Landstriche, in denen es schon sehr traurig zugeht, weil es dort wenige Möglichkeiten gerade auch für jüngere Leute gibt, eine Stelle zu finden oder eine gute Ausbildung zu haben.



Das andere ist, dass es jetzt sehr wichtig ist, dass der Präsident auch in dieser Zeit der Krise nicht nur in den USA, sondern auch weltweit eine gewisse Orientierung gibt. Dass er noch einmal neu definiert, welche Rolle die USA heute haben und was es  für Amerikaner bedeutet, Amerikaner zu sein, wie sie sich situieren gegenüber den anderen Ländern der Welt in Asien, in Europa, aber auch in Latein- und Mittelamerika.



Das Interview führte Verena Tröster (domradio.de)