Flüchtlings-Anwalt Heiko Habbe über den Umgang mit Asylsuchenden

"Die Diskriminierung beenden"

Vor dem Brandenburger Tor demonstrierten bis vor wenigen Tagen bis zu 80 Flüchtlinge für einen "menschenwürdigen Umgang" mit Asylsuchenden und Geduldeten. Zugleich fordert Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich schärfere Regeln gegen Asylmissbrauch. Heiko Habbe, Anwalt des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes in Deutschland, verteidigt im Interview zentrale Forderungen der Asylsuchenden.

 (DR)

KNA: Herr Habbe, geht der deutsche Staat mit Asylsuchenden "unmenschlich" um, wie manche Kritiker es formulieren?

Habbe: Jeder Mensch hat ein Recht auf das physische Existenzminimum ebenso wie auf ein Mindestmaß an soziokultureller Teilhabe. Das sind Menschenrechte, die das Grundgesetz festgeschrieben hat. Eine soziokulturelle Teilhabe ist für viele Asylsuchende und Geduldete aber nicht möglich - erst die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz hat hier teilweise Abhilfe geschaffen. Vielen Betroffenen werden die Leistungen aber weiter unter das vom Gericht festgelegte Niveau gekürzt. Man kann deshalb sagen: Deutschland geht "unmenschlich" mit diesen Menschen um.



KNA: Was bedeutet hier soziokulturelle Teilhabe?

Habbe: Die Möglichkeit, jedenfalls auf bescheidenem Niveau am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Dazu kann die Möglichkeit gehören, sich eine Zeitung zu kaufen, einen Kaffee mit Freunden zu trinken oder ins Kino zu gehen. Das ist für viele Asylsuchende in Deutschland nicht möglich.



KNA: Zugespitzt gefragt: Müssen wir jedem Menschen, der Asyl in Deutschland sucht, die Leistungen des Sozialstaats gewähren?

Habbe: Die Menschenwürde kann und darf für niemanden relativiert werden. Entscheidend ist, dass Asylsuchende und Geduldete nicht dazu gezwungen werden dürfen, auf Sozialleistungen angewiesen zu sein.

Deshalb ist das Arbeitsverbot für sie so widersprüchlich: Aus unserer Beratungsarbeit wissen wir, dass die meisten von ihnen für sich selbst sorgen wollen, es aber nicht dürfen.



KNA: Sind die Forderungen von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich nach schärferen Regeln und einem anderen Umgang mit Hilfesuchenden aus sicheren Herkunftsstaaten berechtigt?

Habbe: Friedrich stellt die Lage etwa der Sinti und Roma in Serbien und Mazedonien falsch dar. Sie erleben eklatante Ausgrenzung, rassistische Diskriminierung, Zwangsumsiedlungen, pogromartige Übergriffe bis hin zum Abbrennen ihrer Häuser. Das vor allem bewegt sie, nach Deutschland zu kommen. Hinzu kommt, dass viele in einer Armut leben, die für uns unvorstellbar ist.



KNA: In der Debatte ist auch die Rede von Asylmissbrauch und von Schieberbanden, die Menschen ein besseres Leben in Deutschland versprechen. Muss der Staat nicht schärfer dagegen vorgehen?

Habbe: Wir dürfen doch nicht die Probleme auf den Schultern der Hilfesuchenden austragen. Die Erfahrung zeigt leider, dass es Menschen gibt, die das Elend anderer ausnutzen. Der richtige Weg wäre aber, nicht die Mauern hochzuziehen, sondern stärkeren Druck auf die Länder auszuüben, damit sich die Ursachen ändern. Derzeit sind Serbien und Mazedonien nach meiner Einschätzung nicht so weit, dass sie der EU beitreten können. Bei Bulgarien und Rumänien hat der Beitritt die gleichen Probleme auch nicht gelöst. Die Bedingungen in den Ländern haben sich nicht geändert.



KNA: Was muss sich im Umgang mit Asylbewerbern und Flüchtlingen im Hinblick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ändern?

Habbe: Die diskriminierenden Maßnahmen müssen beendet werden. Neben der Anhebung der Asylbewerberleistungen, besser noch der Aufhebung dieses Sondergesetzes, sind die beiden Hauptpunkte die Aufhebung der Residenzpflicht und des Arbeitsverbots. Als erstes brauchen die Asylsuchenden die Möglichkeit, für sich selbst sorgen zu können. Wenn dies nicht gelingt, haben sie das gleiche Recht auf soziale Sicherung wie Einheimische auch.



Das Interview führte Benedikt Angermeier.



Hintergrund

Nach neun Tagen haben die Flüchtlinge am Brandenburger Tor in Berlin ihren Hungerstreik in der Nacht zum Freitag beendet. Das Protestcamp soll allerdings noch bis Montag fortbestehen, betonte ein Flüchtlingssprecher. Der Protest wendet sich gegen Abschiebungen, Sammelunterkünfte, die sogenannte Residenzpflicht und das Arbeitsverbot für Asylbewerber.



Dem Ende des Hungerstreiks von knapp 20 Asylbewerbern waren ab dem Donnerstagnachmittag vierstündige Verhandlungen mit der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU) und der Berliner Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) vorausgegangen. Das Gespräch fand in der Akademie der Künste am Pariser Platz statt.



Böhmer und Kolat sagten den Flüchtlingen unter anderem zu, ihre Anliegen auf der nächsten Integrationsministerkonferenz von Bund und Ländern am 20. und 21. März in Dresden zu thematisieren. In welcher Weise dies erfolgen soll, ist noch offen. Außerdem versprach Böhmer, sich für ein Treffen mit Bundestagsabgeordneten und einer Abordnung der Flüchtlinge einzusetzen. Dazu soll bis zum 15. November ein Termin genannt werden.



Zwar konnten Böhmer und Kolat den aus verschiedenen Bundesländern nach Berlin gekommenen Flüchtlingen keine Zusagen machen, dass das rechtswidrige Verlassen des ihnen zugewiesenen Landkreises straffrei bleibt. Sie wollten sich aber gegenüber den Ausländerbehörden vor Ort dafür einsetzen, dass die in Berlin demonstrierenden Asylbewerber nicht strafrechtlich belangt werden, sagte ein Sprecher von Böhmer. Gegen mindestens einen Flüchtling aus Regensburg ermittele schon die Staatsanwaltschaft, hieß es auf dem Umfeld der Flüchtlinge.



Bis Montag dürften zwei Wärmebusse zur Aufnahme der Demonstranten auf dem Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor stehen bleiben, sagte der Einsatzleiter der Polizei, Michael Oles, dem epd. Ziel sei es, die Situation weiter zu deeskalieren. Zu Beginn des seit Mittwoch vergangener Woche andauernden Protestcamps war es mehrfach zwischen Demonstranten und Polizei zu Auseinandersetzungen gekommen. Grund war das Verbot, auf dem Pariser Platz zu campieren. Demonstranten mussten zeitweilig Schlafsäcke und Isomatten abgeben.



Der flüchtlingspolitische Sprecher der Linken-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Hakan Tas, forderte die Bundesregierung auf, sich "jetzt ernsthaft" mit den Forderungen der Flüchtlinge zu beschäftigten. "Wenn das nicht passiert, war das gestrige Gespräch nur eine Alibiveranstaltung", erklärte Tas.