Internationaler Tag für die Beseitigung der Armut

"Europa trägt eine große Mitschuld"

In den letzten 30 Jahren ist die Zahl der Armen weltweit gesunken. Ein Grund zur Freude, sagt Prälat Peter Neher, Präsident des Deutschen Caritasverbandes. Im domradio Interview erklärt er aber auch, warum man sich auf diesem Ergebnis noch lange nicht ausruhen darf.

Armut: Ansichts- und Auslegungssache / © Erwin Wodicka
Armut: Ansichts- und Auslegungssache / © Erwin Wodicka

domradio.de: Vor 30 Jahren lag die Zahl der Ärmsten Menschen bei rund 1,9 Milliarden, heute bei "nur" noch 1,3 Milliarden. Werten Sie das als Fortschritt?

Neher: Das ist wirklich ein Grund zur Freude, denn hinter solchen Zahlen stehen ja immer Einzelschicksale von Kindern, Frauen und Männern, denen es dann doch tendenziell etwas besser geht. Das ist natürlich eine positive Entwicklung. Auf der anderen Seite ist das kein Grund, zufrieden zu sein, weil eben immer noch mehr als eine Milliarde Menschen weltweit unter der absoluten Armutsgrenze leben.



domradio.de: In Südasien und Teilen von Afrika steigt die Armut nach Ihren Erkenntnissen. Woran liegt das?

Neher: Das ist ein ganz wichtiger Punkt, denn das Sinken der Armut ist im Wesentlichen auf das wirtschaftliche Wachstum in China, Indien und Brasilien zurückzuführen, und selbst in diesen Ländern gibt es immer noch eine sehr ungleiche Verteilung. Der Grund ist, wie in vielen Fragen, ein Mix aus verschiedensten Ursachen. Wenn man zum Beispiel den Kongo betrachtet, eines der ärmsten Länder der Welt überhaupt, dann liegt es daran, dass jede Art von Infrastruktur fehlt, die Bevölkerung seit Jahrzehnten unter Kriegen leidet und tatsächlich von verschiedenen Diktatoren schlecht regiert wurde. Diese Mischung aus allen ist die wesentliche Ursache für diese Armutssituation.



domradio.de: Würden Sie sagen, dass Europa eine Mitschuld trägt, an der Armut in den so genannten Dritte Welt Ländern?  

Neher: Das ist leider so, dass Europa eine große Mitschuld trägt, und zwar insbesondere durch die Agrarsubventionen. In Ghana oder der Elfenbeinküste zum Beispiel sind die EU-Hähnchen auf den Märkten billiger als die afrikanischen Tiere. Das ist natürlich eine absolut unfaire Konkurrenz. Gleiches gilt für Baumwolle oder Tomaten. Etwa 350 Milliarden Dollar fließen jährlich aus den Industriestaaten zur Subvention in die Landwirtschaft und machen damit die heimischen Märkte kaputt.



domradio.de: Sie fordern mehr Anstrengungen im Kampf gegen die bitterste Armut - welche Anstrengungen hat Caritas International bislang unternommen?

Neher: Wir kämpfen in Deutschland und in Europa auf der politischen Ebene gegen derartige Subventionen, die die Märkte kaputtmachen und für faire Wettbewerbsbedingungen. Beispielsweise mit der Kampagne "Deine Stimme gegen Armut" unterstützt der Deutsche Caritasverband in über 70 Ländern weltweit Projekte der Armutsbekämpfung. Ein anderes Beispiel: In Westafrika konnten sich viele Menschen in den letzten Monaten nicht mehr das tägliche Essen leisten und wir haben dort 20.000 verarmten Kleinbauern die Möglichkeit gegeben, beim Bau von Dämmen und Bewässerungskanälen das Geld für den Zukauf von Lebensmitteln und Saatgut selbst zu erwirtschaften und zu verdienen. Das sind Projekte, mit denen wir versuchen, konkret und politisch weltweit gegen die Armut anzukämpfen.



Das Interview führte Tobias Fricke.