Kardinal Marx begrüßt Friedensnobelpreis für die EU

Europa über den Tag hinaus

Der Friedensnobelpreis für die Europäische Union sollte eine Ermutigung sein, findet Kardinal Marx. "Ich wünsche mir, dass Europa über den Tag hinaus ein Zukunftsbild für die Europäische Gemeinschaft entwickelt", sagte er im domradio.de-Interview. Der Kardinal ist Vorsitzender der EU-Bischofskommission COMECE.

 (DR)

domradio.de: Der Friedensnobelpreis 2012 geht also an die EU. In Ihren Augen zu Recht?

Kardinal Marx: Ja, ich freu mich sehr, denn die Europäische Union ist, wenn man die 60 vergangenen Jahre anschaut, doch ein großes Friedensprojekt. Und gerade in Zeiten, wo es krisenhaft ist, daran zu erinnern, was auch durch die Europäische Union, durch die Einigung Europas in Gang gekommen ist, das finde ich sehr sehr gut und das ist auch eine Ermutigung.



Wir dürfen auch nicht vergessen, es waren am Anfang der Europäischen Gemeinschaft katholische Christen, die das Ganze in Gang gebracht haben, das Werk der Versöhnung, der Überwindung des Nationalismus. All das, glaub ich, noch einmal zu unterstreichen, finde ich sehr sehr gut.



domradio.de: Hatten Sie mit dieser Entscheidung des Nobelkomitees gerechnet?

Kardinal Marx: Nein, ich habe gar nicht darüber nachgedacht in den letzten Wochen. Man hat so viele andere Dinge im Kopf und es gab das ein oder andere an Spekulation, aber die Europäische Union wurde nicht genannt. Also ich bin überrascht und freue mich darüber.



domradio.de: Ist dieser Preis jetzt ein ermutigendes Zeichen für Europa so weiter zu machen oder besser zu werden?

Kardinal Marx: Besser zu werden gilt immer. Und vor allen Dingen, glaube ich, ist es wichtig, noch einmal an die Grundlagen und die Sendung Europas zu erinnern. Ich zitiere immer gerne einen Satz von einem der Gründerväter der Europäischen Union, dem Franzosen Jean Monnet, der gesagt hat: Europa soll ein Beitrag sein für eine bessere Welt! Das ist eine schlichte, aber doch sehr anspruchsvolle Formulierung. Natürlich haben wir jetzt technische Probleme zu lösen, die Währungsunion und die Krise, die damit zusammenhängt. Aber wir sollten doch auch nicht vergessen, dass wir ein langfristiges Ziel haben. Europa soll auch ein Beitrag sein für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt. Es geht ja nicht nur um das Überleben Europas, sondern Europa hat auch einen Auftrag. Denken wir an die ganze Geschichte der Demokratie, der Menschenrechte, all das ist auch damit gemeint. Und da finde ich, ist eine solche Ermutigung schon richtig, sich auf die großen geistigen Wurzeln Europas zu besinnen und dazu gehört auch das Christentum.



domradio.de: Am 10. Dezember wird der Preis verliehen, den muss jemand stellvertretend für die EU entgegennehmen. Schwebt Ihnen da schon ein Name vor? Jemand, der sich besonders verdient gemacht hat?

Kardinal Marx: Ich weiß nicht, wie die verschiedenen Institutionen sich einigen. Aber ich denke, dass sie alle irgendwie präsent sein werden. Das geht ja nicht um eine Person, sondern es gibt den Europäischen Rat, es gibt die Europäische Kommission, es gibt das Europäische Parlament. Ich denke, sie werden alle repräsentativ gut vertreten sein und das ist auch richtig so.



domradio.de: Jetzt gibt"s natürlich auch kritische Stimmen zu dieser Preisvergabe, zum Beispiel zeigte sich das Oberhaupt der orthodoxen Kirche von Griechenland, Erzbischof Hieronymus von Athen, schwer enttäuscht, denn er sieht Europa nicht mehr als Solidargemeinschaft vor allem Blick auf deren Griechenland-Politik. Können Sie das verstehen?

Kardinal Marx: Ja, gut. Ich kenne jetzt die Äußerungen nicht genauer, aber er will ja gerade offensichtlich sagen, eigentlich müsste Europa auch zusammenhalten und zusammenstehen. Und den Wunsch kann man von Griechenland aus verstehen. Aber ich denke, das ändert nichts daran, dass Europa wirklich, glaube ich, hier eine große Aufgabe hat und sich auch in gewisser Weise neu zusammenraufen muss.



domradio.de: Was wünschen Sie sich am dringendsten von der EU? Wie soll"s weitergehen, wie muss es weitergehen?

Kardinal Marx: Ich wünsche mir schon, dass Europa über den Tag hinaus ein Zukunftsbild für die Europäische Gemeinschaft entwickelt. Das ist natürlich nicht ganz einfach, weil es unterschiedliche Vorstellungen gibt, das gehört auch zu Europa dazu, die Vielfalt. Aber wir brauchen auch eine geistige Idee von Europa. Nur eine ökonomische Vorstellung, nur das, was materielle Güter im Blick behält, wird die Leidenschaft der Menschen, die Begeisterung für Europa nicht wieder neu wecken. Und das würde ich mir wünschen.



Das Interview führte Hilde Regeniter (domradio.de)