Literaturnobelpreis geht erstmals nach China

Bescheiden, knorrig und uneitel

Viele Chinesen sind stolz, dass mit Mo Yan ein Landsmann den Literaturnobelpreis erhält. Der Autor von "Das rote Kornfeld" beschreibt gesellschaftliche Widersprüche, geht aber nicht in Opposition zu Peking. Manche halten ihm seine Staatsnähe vor. Im domradio.de-Interview spricht der Sinologe Wolfgang Kubin über den Preisträger.

 (DR)

Der Literaturnobelpreis geht in diesem Jahr an den Chinesen Mo Yan. Der Autor sei ein Erzähler, der "Volkssagen, Geschichte und Gegenwart mit halluzinatorischem Realismus" verschmelze, erklärte die Schwedische Akademie am Donnerstag in Stockholm.



Mo Yan, 1955 geboren, ist der erste in China lebende Autor, der die hohe Auszeichnung erhält. Der Preis wird am 10. Dezember in Stockholm übergeben und ist mit umgerechnet 925.000 Euro dotiert. In China löste die Nachricht überwiegend positive Reaktionen aus. Es gab jedoch auch kritische Stimmen, da Mo Yan nicht in Opposition zur politischen Führung geht und Mitglied der Kommunistischen Partei ist. Dennoch greifen seine im ländlichen Milieu angesiedelten Romane gesellschaftliche Missstände auf.



"Das rote Kornfeld"

Auf Deutsch erschienen etwa "Das rote Kornfeld" und "Die Knoblauchrevolte". Der Hanser Verlag bereitet für Frühjahr 2013 die Übersetzung des Romans "Frösche" (chinesisch: Wa) über Chinas Ein-Kind-Politik vor.



Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) gratulierte dem Autor während eines Besuchs in Peking. "Das ist ein abermaliger Beleg für China als einer großen Literaturnation", sagte er. Mo Yan reagierte nach Angaben chinesischer Staatsmedien "überglücklich und erschrocken".



Bescheiden, knorrig und uneitel

Der Bauernsohn zählt zu den wichtigsten chinesischen Autoren der Gegenwart. Sein richtiger Namen ist Guan Moye. Sein Pseudonym Mo Yan bedeutet "Der Sprachlose". Wegen der Kulturrevolution konnte er nur fünf Jahre zur Schule gehen. Der Schweizer Verleger Lucien Leitess (Unionsverlag) beschreibt ihn als bescheiden, knorrig und uneitel.



2009 gehörte Mo Yan zu den offiziell von den chinesischen Behörden zur Frankfurter Buchmesse eingeladenen Autoren. Er sprach sich für Vielfalt und Individualität in der Literatur aus. Die Literatur müsse die "heißen Themen" einer Gesellschaft aufnehmen.



Im Jahr 2000 war der im Pariser Exil lebende Autor Gao Xingjian als erster Chinese mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet worden. Auf den Friedensnobelpreis 2010 für den inhaftierten Dissidenten Liu Xiaobo hatte Peking mit großer Verärgerung reagiert und das norwegische Nobelkomitee stark angefeindet.



Engagement für Inhaftierte

Das deutsche P.E.N.-Zentrum appellierte an Mo Yan, sich für inhaftierte Autoren einzusetzen. "Ich wäre glücklich, wenn sich Mo Yan als würdiger Preisträger entpuppt, der sich die Freiheit nähme, auch in seinem Land darüber zu sprechen, ob es richtig ist, dass 40 chinesische Schriftsteller in Haft sitzen", sagte der Generalsekretär des Schriftstellerverbandes, Herbert Wiesner, dem epd.



Mo Yans Erzählstil wird oft mit den Autoren des magischen Realismus in Südamerika verglichen. In der Zeit von Mao Tse-tung sei die Literatur eine Waffe der Revolution gewesen und hätte die Gesellschaft nach sozialistischem Weltbild darstellen müssen, sagte er 2009 der "Frankfurter Rundschau". Aber dieses Tabu sei gebrochen. "Heute schreiben wir, wie wir wollen: über die Politik und die Gesellschaft, das Leben und die Liebe, Gewalt und Sex."



Der Literatur-Experte Peter Ripken nannte die Entscheidung des Nobelkomitees weise und mutig: "Mo Yan schreibt real-kritische, durchaus zum Teil witzig-ironische Geschichten, die man nicht unbedingt als staatstragend verstehen muss", sagte Ripken, der 2009 den China-Schwerpunkt der Buchmesse koordiniert hatte.