Wiener Kardinal Schönborn fordert Entweltlichung der Kirche

Auf Benedikts Spuren

Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn hat die Christen in Europa zu einem profilierten Engagement in einer zunehmend säkularen Gesellschaft aufgerufen. Dies sei nur möglich, wenn sie sich nicht selbst "verweltlichen", betonte Schönborn. "Gerade in einer säkularen Gesellschaft ist ein 'verweltlichtes' Christentum uninteressant." Eine "entweltlichte" Kirche sei besser geeignet, weltoffen zu sein.

Berlin: Erzbischof Zollitsch, Kanzlerin Angela Merkel und Kardinal Schönborn (KNA)
Berlin: Erzbischof Zollitsch, Kanzlerin Angela Merkel und Kardinal Schönborn / ( KNA )

Der von Papst Benedikt XVI. bei seinem Deutschlandbesuch geprägte Begriff der "Entweltlichung" bedeute nicht "den Rückzug aus allen institutionellen, rechtlichen, gesellschaftlichen Vernetzungen der Kirche mit der zivilen Gesellschaft und dem Staat", führte Schönborn aus. Vielmehr gehe es um ein "Freiwerden für das Eigentliche des Christentums, das Evangelium und seine Bedeutung". Der Wiener Kardinal hielt am Mittwochabend die Gastrede beim bundespolitischen Jahresempfang der katholischen Kirche in Berlin.



Zugleich stellte Schönborn fest, der gesellschaftliche Mainstream gehe in immer mehr Bereichen in eine andere Richtung als das Christentum. "Das Christentum wird immer marginaler." Als Beispiele nannte er die vorherrschende Haltung gegenüber Abtreibung, Euthanasie, Forschung an menschlichen Embryonen, Gleichstellung von homosexueller Lebenspartnerschaften mit der Ehe oder die Einstellung zur Präimplantationsdiagnostik. Beim Schutz des menschlichen Lebens verteidige die Kirche kein "konfessionelles Sonderrecht", sondern ein vernunftbegründetes elementares Menschenrecht. Dennoch erlebten sich engagierte Christen immer mehr als "Minderheit" in Europa, so der Kardinal.



Recht auf körperliche Integrität

Zur Beschneidungsdebatte sagte Schönborn, in diesem Fall habe offenbar das Recht auf körperliche Integrität in einer säkularen Gesellschaft eine höhere Plausibilität. Zugleich betonte er: "Man wünscht sich, dass das Recht auf körperliche Integrität des zur Abtreibung freigegebenen Ungeborenen mit ebensolcher Vehemenz verteidigt würde wie das Recht, über das Haben oder Nichthaben der Vorhaut selbst entscheiden zu können."



Mit Blick auf die Stellung des Gläubigen in der säkularen Gesellschaft erinnerte Schönborn an die Worte des Philosophen Jürgen Habermas von "unabgegoltenen religiösen Bedeutungspotenzialen", die im liberalen Staat nicht übersehen oder verdrängt werden dürften. "Religiöse Mitbürger können sie einbringen", so Schönborn. "Dafür müssen sie aber ernst genommen werden." Umgekehrt werde den religiösen Menschen im säkularen Kontext zugemutet, dass sie sich bemühen, ihre Inhalte in die Sprache der säkularen Welt zu übersetzen.



Zollitsch: Lage der Christen in Syrien ist verzweifelt

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, erinnerte in Berlin an die Leiden der Zivilbevölkerung in Syrien. Er würdigte die Solidaritätsbekundungen aus Regierung und Parteien sowie die Bereitschaft, gegebenenfalls Flüchtlinge aufzunehmen. Das besondere Augenmerk der Kirche gelte den Christen, "die sich in einer besonders verzweifelten Lage befinden", so Zollitsch. Er äußerte die Hoffnung, dass die bevorstehende Reise von Papst Benedikt XVI. in den Libanon zur Befriedung der Region beitragen werde.



Zollitsch begrüßte zugleich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Euro-Rettungsschirm und Fiskalpakt. Er verstehe zwar die Sorge um den Verlust nationaler Kompetenzen. In vielen Bereichen eines wirtschaftlich vernetzten Europas besitze Deutschland als einzelner Mitgliedstaat aber keine eigenständigen Gestaltungsmöglichkeiten mehr, so der Freiburger Erzbischof. In einem gemeinsamen Währungsraum seien dafür "starke gemeinsame Abstimmungs- und Kontrollmechanismen in der Haushalts- und Fiskalpolitik" nötig, "um demokratische Mitbestimmungsmöglichkeiten überhaupt gewährleisten zu können".



An dem Empfang nahmen Bundestagspräsident Norbert Lammert, die Vizepräsidenten Katrin Göring-Eckardt und Wolfgang Thierse sowie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) teil. Anwesend waren auch die CDU-Bundesminister Annette Schavan, Ronald Pofalla und Wolfgang Schäuble, zudem die Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder (CDU), Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Renate Künast (Grüne).



Aus dem kirchlichen Bereich kamen der apostolische Nuntius in Deutschland, Erzbischof Jean-Claude Perisset, der Erzbischof von Berlin, Kardinal Rainer Maria Woelki, der Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, der Bischof von Essen und katholische Militärbischof Franz-Joseph Overbeck sowie der Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Prälat Bernhard Felmberg.