Autor Peter Prange über sein neues Buch "Der Kinderpapst"

"Überfordert, Gottes Stellvertreter zu sein"

1032 war es, als aus dem Grafensohn Theophylakt III. im Alter von zwölf Jahren Papst Benedikt IX. wurde. Über dessen Leben und Wirken hat Peter Prange einen historischen Roman geschrieben. Ein Gespräch mit ihm über das Phänomen eines "Kinderpapstes", dessen grausame Amtszeit sowie die Kraft der Liebe.

 (DR)

KNA: Herr Prange, wie kamen Sie auf das Thema?

Prange: Durch Zufall. Peter Seewald verweist in einem Interviewbuch mit Joseph Ratzinger auf den Kinderpapst. Das hat mich neugierig gemacht. Über Benedikt IX. weiß man, dass er im Knabenalter auf den Thron kam und ein grausames Pontifikat führte. Drei Mal ist er verstoßen worden, kämpfte sich aber wieder an die Macht. Einmal hat er sein Amt zugunsten seines Taufpaten verkauft, wohl in der Absicht seine Cousine Chiara di Sasso zu heiraten. Die Ehe kam jedoch nicht zustande. Mit Mitte 30 soll er endgültig abgetreten sein und noch ein paar Jahre laisiert weitergelebt haben.



KNA: Was hat Sie daran gefesselt?

Prange: Mich hat vor allem die Psychologie der historischen Figur gereizt. Was bedeutet es für einen Menschen, Gottes Stellvertreter zu sein? An dem Kinderpapst lässt sich besser als an allen anderen Päpsten der Geschichte zeigen, was für eine entsetzliche Überforderung eine solche Aufgabe darstellt. Dieser Knabe, so meine Interpretation, wurde zum Unmenschen, weil er an seinem übermenschlichen Amt zerbrach. Und weil ihm die Liebe, nach der er sich von Anfang an verzehrte, die Liebe zu seiner Cousine Chiara, ein Leben lang verwehrt blieb.



KNA: Der junge Papst bemüht sich bei Ihnen um Reformen ...

Prange: Ja. Die Ideale des christlichen Glaubens, die ihm sein Taufpate, ein weltfremder Eremit gelehrt hat, versucht er umzusetzen. Doch mit der reinen Lehre scheitert er an Kardinälen und Intriganten. Ich glaube, Benedikt IX. war ein Gottessucher. Weil er aber mit der Kraft des Gebetes nicht zu Gott durchstößt, versucht er ihn mit der Sünde zu erreichen. Durch Provokation hofft er, Gott würde sich ihm zu erkennen geben. So spuckt er vor den Augen seiner frommen Mutter auf das Kruzifix und wirft es auf den Boden, um ihr zu zeigen, dass nichts passiert.



KNA: Wie recherchiert man eine so alte Geschichte?

Prange: Mein Vorteil ist es, in der Universitätsstadt Tübingen zu Hause zu sein. Hier gibt es auf jede Frage mindestens fünf Antworten. Ich kenne viele Professoren, die mir weiterhelfen konnten. Außerdem lebt mein Agent in Rom und hat entsprechende Kontakte. Es ist eine Mischung aus Textrecherche, Fachwissen von Theologen und Besuchen vor Ort.



KNA: Worauf achten Sie bei Ihren Büchern?

Prange: Die Ereignisse aus der Kirchen- und Politikgeschichte dieser Zeit müssen korrekt wiedergegeben sein. Also etwa die Absetzung der drei Schisma-Päpste oder wann ein Konzil stattfand. Auch über die Lebenswelt, in der meine Helden sich bewegen, muss ich mich kundig machen. Aber natürlich ist jedes Gespräch der Protagonisten eine Projektion in eine historische Figur hinein. Das ist die schriftstellerische Leistung, die aber immer mit den historischen Gegebenheiten abzugleichen ist.



KNA: Warum haben Sie Ihrem Roman die Worte "Deus Caritas est" (Gott ist die Liebe) vorangestellt?

Prange: Glaube ist Durchsetzung, aber auch Liebe und Nachsicht. Das ist das Lebensdrama von Teofilo, wie er bei mir heißt. Schön fand ich, dass auch die erste Enzyklika von Benedikt XVI. mit diesen Worten beginnt. Sie sind zudem das Leitmotiv von der Figur des Abtes Bartolomeo, den es wirklich gegeben hat, und der eine große Rolle als Vermittler spielte.



KNA: Ihre historische Erzählung ist umrahmt von zwei, 1981 spielenden Kapiteln. Ein Mitglied der Selig- und Heiligsprechungskongregation soll klären, ob Benedikt IX. seliggesprochen werden soll. Erfunden?

Prange: Ja. Die Rahmenhandlung soll aus heutiger Sicht einen Blick auf die Widersprüchlichkeit der historischen Geschichte ermöglichen. Denn das, was Böse erscheint, muss nicht durch und durch Böse sein.



KNA: Dennoch erwähnen Sie darin eine real existierende Person namens "Professor Ratzinger, einen scharfsinnigen deutschen Theologen, den jeder Kollege achtete, aber kaum einer mochte".

Prange: Das hängt mit meinem fabelhaften Religionslehrer im Gymnasium zusammen. Wir haben bei ihm Texte von Ernst Bloch bis hin zu Joseph Ratzinger gelesen. Seine gedankliche Schärfe hat mir damals schon imponiert. Aber im Vergleich zu Johannes Paul II. wird Benedikt XVI. für mich immer der kühle Intellektuelle bleiben. Der Prolog ist übrigens auch eine Verneigung vor Walter Jens und seiner wunderbaren Erzählung "Der Fall Judas", in dem er über dessen Seligsprechung philosophiert.



KNA: Was fasziniert die Leute so an historischen Romanen wie etwa auch an "Die Päpstin"?

Prange: Da kann ich nur für mich sprechen. Es ist das Geheimnis des Glaubens und wie dieses in der Welt vermittelt wird. Der erste Vermittler des richtigen, katholischen Glaubens ist eben der Papst. Dazu kommt, dass sich jeder in dieser säkularen und an Vielfalt von Lebensentwürfen reichen Welt nach Orientierung sehnt. Diese finde ich aber nicht im Wissen, sondern im Glauben. Deswegen braucht man den Glauben heute vielleicht mehr als früher. Denn ohne Werteorientierung sind wir hoffnungslos überfordert.



Das Gespräch führte Barbara Just.