Stiftung stellt Bericht über Rechtsextremismus in Deutschland "Kartell der Verharmloser" vor

"Der politische Wille fehlt"

Die NSU-Morde, der Umgang mit der NPD, der "Fall Drygalla" – immer wieder bestimmt die Rechtsextremismus-Debatte die Schlagzeilen. Und immer wieder werde das Thema verharmlost, kritisiert im Interview mit domradio.de die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane.

 (DR)

domradio.de: Sie sprechen in Ihrem Report davon, dass aus Opfern Täter werden. Das heißt ja, Vereine, die sich gegen Rechtsextremisten engagieren, werden als Störenfriede wahrgenommen. Haben Sie da ein Beispiel?

Kahane: Das passiert überall, auch bei Gewaltangriffen gegenüber Migranten. Da sagt die Polizei beispielsweise, das Opfer solle nicht provozieren. Einmal wurde mit dieser Begründung sogar ein Asylbewerber abgeschoben, weil er Opfer rechter Gewalt geworden war. Die Projekte und Initiativen gegen Rechtsextremismus erleben auch Übergriffe gegen ihre Einrichtungen. Was aber viel schlimmer ist: Die staatliche Unterstützung lässt mitunter zu wünschen übrig. Die Bundesregierung hat ein Programm gegen Extremismus. Mit dem wird das gesamte Spektrum abgedeckt - von Islamismus bis Linksextremismus, von Ost bis West, von Nord nach Süd. Nur reichen die Mittel dafür nicht aus. Die Bedingungen, unter denen die Menschen hier arbeiten, sind zum Teil unvorstellbar: Sie leisten professionelle Arbeit, tapfer und effektiv, und trotzdem werden sie bürokratisch und politisch gegängelt.



domradio.de: Warum werden die Projekte und Initiativen vor Ort denn als Störenfriede wahrgenommen?

Kahane: Der deutsche Nazitäter, der Ausländer oder alternative Jugendliche zusammenschlägt, ist den Menschen vor Ort oft im Zweifel dann doch näher in der politischen Ausrichtung. Das macht den Kommunen zu schaffen. Und deswegen sind ihre Vertreter im Zweifel auch eher bereit, die Nazis zu verharmlosen, als die Menschen ernst zu nehmen, die vor der Gefahr warnen.



domradio.de: Nach Auffliegen der rechtsextremen Terrorzelle NSU Ende 2011, wurde doch auf politischer Ebene immer wieder beteuert, dass man sich jetzt gegen Rechtsextremismus einsetzen wolle. Wieso passiert da nichts?

Kahane: Da fehlt einfach der politische Wille. Man müsste von der Regierung abwärts schauen, was versäumt wurde und was verbessert werden kann. Eine solche Reaktion würde man sich für Deutschland wünschen. Doch die ist bisher ausgeblieben. Bisher hat man gesagt: Der Verfassungsschutz hat versagt, dann wird ein Kopf ausgetauscht und eine Reform überlegt. Eine Reaktion, die man oft in der Politik erlebt. Aber in diesem Feld! Da braucht man Ethik, eine klare Haltung und politischen Willen. Und nicht nur eine Rumflickerei.



domradio.de: Wie wichtig ist es in diesem Zusammenhang, die NPD zu verbieten?

Kahane: Gerade die vergangenen Wochen mit der Diskussion um die Olympia-Ruderin Drygalla haben doch gezeigt, dass es kontraproduktiv ist, die NPD zu verbieten. Man hat gesagt, der Freund von Frau Drygalla ist NPD-Mitglied und Neonazi und deshalb sei alles ganz schlimm. Jetzt hat der erklärt, er sei nicht mehr NPD-Mitglied und die Gesellschaft schließt daraus: Er ist auch kein Neonazi mehr. Das wird nicht weiter hinterfragt. Es wird nicht gefragt, wie weit er damit abgeschlossen hat und wofür bzw. wogegen er heute ist. Hauptsache er ist kein NPD-Mitglied mehr. Wenn Sie das in der gesellschaftlichen Debatte hochrechnen, wäre ein NPD-Verbot eine wunderbare Sache. Man schafft die Partei ab, die ist dann verboten und das Thema beendet. Dann hat man kein Problem mehr mit Neonazis. Nun wissen wir aber, dass sich Neonazis tief in die Alltagskultur eingegraben haben - und die Kameradschaften ja keine NPD brauchen. Wenn sie die NPD verbieten, ist gar nichts gewonnen.



domradio.de: Die NPD ist also nicht das Problem?

Kahane: Nein, das Problem ist, ein gesellschaftliches Klima herzustellen, in dem Rassismus ganz klar geächtet wird, in dem Integration auf einer vernünftigen Ebene vollzogen wird. Es geht um eine Gesellschaftspolitik, die Menschen anderer Hautfarbe schützt statt sie auszuliefern und alleine zu lassen.



Hintergrund: Die Amadeu Antonio Stiftung hat am Dienstag in Berlin den Bericht "Kartell der Verharmloser" vorgestellt.



Das Gespräch führte Christian Schlegel.