Kölner Verfassungsrechtler fordert Reform der Organvergabe

"Krankes System"

Nach den jüngst bekanntgewordenen Manipulationen werden die Forderungen nach mehr Transparenz bei Transplantationen in Deutschland immer lauter. Der Kölner Verfassungsrechtler Wolfram Höfling warnt im domradio.de-Interview davor, die Organisation weiter nur Ärzten zu überlassen. Die Organisation der Transplantationsmedizin gleiche einem "kranken System".

 (DR)

Mit der Justierung von einzelnen kleinen Rädchen sei wenig gewonnen, glaubt Höfling, der auch Mitglied des Deutschen Ethikrates ist. Vor allem sei das Vertrauen, was elementare Voraussetzung für die Bereitschaft der Organspende ist, in dem geltenden Systems nicht mehr herzustellen.



Ärzte wollen Vertrauen wiederherstellen

Unterdessen plant die Ärzteschaft für mehr Transparenz und effizientere Kontrollen bei Organspenden zu sorgen. Das Vertrauen in die Transplantationsmedizin und die Organspende müsse schnellstmöglich wieder hergestellt werden, sagte Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery am Donnerstag nach einem Spitzentreffen in Berlin. Unter anderem solle das Mehraugenprinzip bei der Aufnahme von Patienten auf Wartelisten und bei der Organzuteilung "mit Leben erfüllt werden". Dazu werde die Einrichtung von Transplantationskonferenzen angestrebt.



Montgomery fügte hinzu, bei "nachgewiesenem schweren ärztlichen Fehlverhalten" sollten die zuständigen Institutionen "das Ruhen oder den Entzug der Approbation" anordnen. An dem umstrittenen beschleunigten Verfahren bei der Organvergabe solle festgehalten werden. Es müsse aber einer kritischen Analyse unterzogen werden, sagte der Ärztepräsident.



Nach Ansicht von Verfassungsrechtler Höfling hätten sich bisherige Kontrollsysteme nicht bewährt. "Bei der gesetzlichen Regelung der Organspende ist auf eine wirksame Kontrolle weitgehend verzichtet worden", sagte Höfling der "Berliner Zeitung". Auf jeden Skandal hätten die betroffenen Mediziner und die Politik aber immer nur mit Abwehr reagiert. Es könne nicht sein, dass sich Ärzte selbst kontrollieren. Deshalb sei es eine große Unverfrorenheit, wenn nach den Skandalen in Göttingen und Regensburg ausgerechnet die Bundesärztekammer noch mehr Kontrollrechte für sich einfordere.



Verteilungsgerechtigkeit als Aufgabe für den Gesetzgeber

Höfling sieht ein grundsätzliches Problem: "Es ist eine große Selbsttäuschung, so zu tun, als ob es bei der Frage, nach welchen Kriterien Organe vergeben werden, nur um medizinische Fragen geht." Es gehe auch darum, wie mit knappen Ressourcen umgegangen werde. "Das sind Gerechtigkeitsfragen und damit Entscheidungen, die der Gesetzgeber treffen muss, nicht die Ärzte." Die Transplantationsmedizin sieht Höfling als Kern einer Debatte um Verteilungsgerechtigkeit in der Medizin, die noch bevorstehe.



Mediziner sehen indes keine Anzeichen für regelmäßige Manipulationen und lehnen eine Ausweitung der staatlichen Kontrolle ab. Auch das Bundesgesundheitsministerium wies Forderungen nach stärkerer Aufsicht des Staates zurück.



Gesundheitsministerium weist Kritik an Vergabe zurück

Eine Ministeriumssprecherin sagte am Mittwoch in Berlin, dass es nicht automatisch ein Indiz für Manipulationen sei, wenn immer mehr Spenderorgane nach einem beschleunigten Vermittlungsverfahren verpflanzt werden. In diesem Jahr ist jedes vierte Herz, jede dritte Lunge und fast jede zweite Bauchspeicheldrüse direkt von der Klinik an Transplantationszentren vergeben wollen. Das Verfahren ist legitim, wenn sich kein Empfänger für ein Organ findet, weil der Spender bereits alt war oder Vorerkrankungen hatte.



Damit soll der Verlust des Organs verhindert werden. Kritiker fürchten Manipulationen, weil ein Arzt ein Organ "kränker" machen könnte, um es zugunsten eines bestimmten Patienten in die direkte Vermittlung zu geben. Die Ministeriumssprecherin betonte, dass die Zuteilung dieser Organe nicht "an der Warteliste vorbei" erfolge und verwies auf Richtlinien der Bundesärztekammer.



Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Renate Künast, forderte mehr staatliche Kontrollen. Es bedürfe einer besseren und transparenteren Koordination einschließlich einer strengen und öffentlich zugänglichen Dokumentation der Fälle, sagte sie in Berlin. Hessens Sozialminister Stefan Grüttner (CDU) warnte vor vorschnellen Gesetzesänderungen. Sollte sich aber herausstellen, dass Fehlern mit Veränderungen begegnet werden kann, müssten diese auch angegangen werden.



Der Ärztliche Direktor des Universitätsklinikums Freiburg, Jörg Rüdiger Siewert, lehnt ein stärkeres staatliches Eingreifen ab. Statt staatlicher Stellen sollten ärztliche Gremien und wissenschaftliche Fachgesellschaften ein Konzept erarbeiten, wie sich größere Transparenz schaffen ließe, sagte er dem epd.



Der Direktor des Deutschen Herzzentrums in Berlin, Roland Hetzer, sagte der "Berliner Morgenpost" (Mittwochsausgabe), dass er Manipulationen im großen Stil nicht für möglich halte. Trotzdem räumte er mit Blick auf die derzeitige Organisation und den Betrugsskandal in Göttingen ein: "Wenn jemand wirklich betrügen will, dann wird es ihm leider oft gelingen."