Hunderttausende auf der Flucht vor dem Krieg in Syrien

Die erwartete Katastrophe

Rund 200.000 Menschen sind in den vergangenen zwei Tagen aus der syrischen Stadt Aleppo geflohen. Viele Zivilisten sind in umkämpften Teilen der Wirtschaftsmetropole eingeschlossen. Der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, Rudolf Seiters spricht von einer "menschlichen Katastrophe allererster Ordnung". Papst Benedikt XVI. fordert, dem Blutvergießen müsse dringend ein Ende gesetzt werden.

 (DR)

Angesichts der sich zuspitzenden Kämpfe in Syrien wächst die Sorge um die Flüchtlinge und um die christliche Minderheit des Landes. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte, die Lage der Christen in Syrien mache ihm große Sorgen. Ihr Recht auf Religionsfreiheit dürfe nicht unter die Räder kommen: "Wir erwarten von allen, die für ein neues Syrien eintreten, dass sie Pluralität und Glaubensfreiheit achten."



Der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Rudolf Seiters, sagte, die Situation sei "in der Tat in den letzten Tagen immer schlimmer geworden" für die Bevölkerung.  Hunderttausende Menschen hätten das Land verlassen. Die Nachbarländer, etwa Jordanien, seien wegen der Flüchtlinge in einer schwierigen Situation, sagte der DRK-Präsident. Das Internationale Rote Kreuz helfe, wo es helfen kann. Allerdings seien die Möglichkeiten begrenzt, die Gefährdungslage für die Helfer sei außerordentlich groß. "Wir tun, was wir können", unterstrich Seiters. Auch das Deutsche Rote Kreuz helfe. Erschwerend wirke allerdings, dass die Regeln des humanitären Völkerrechts nicht beachtet würden, beklagte der DRK-Präsident. Der Zugang der Helfer zu den Bedürftigen sei nicht gewährleistet.



Seiters berichtete, dass rund um die syrische Hauptstadt Damaskus in den vergangenen Tagen 60 Schulen zu Notunterkünften für Familien umfunktioniert worden seien. Dort hätten in kurzer Zeit 11.800 Menschen Zuflucht gefunden. Das zeige, wie dramatisch und katastrophal die Situation sei. Gebraucht würden etwa Lebensmittel, Medikamente und Decken - also Dinge, die erst einmal zum Überleben notwendig seien.



Papst: Hilfe und Solidarität

Auch Papst Benedikt XVI. hat erneut an die Konfliktparteien in Syrien und an die internationale Gemeinschaft appelliert, sich um ein Ende der Gewalt in dem arabischen Land zu bemühen. Beim Angelusgebet forderte er am Sonntag in Castel Gandolfo, eine politische Lösung für den Konflikt zu suchen. "Jeder Gewalt" und dem Blutvergießen müsse dringend ein Ende gesetzt werden.



Besonders besorgt äußerte sich das Kirchenoberhaupt in seiner Sommerresidenz bei Rom über die Lage der zahlreichen Binnenflüchtlinge und der Syrer, die in den Nachbarstaaten Schutz suchen. Ihnen müssten die nötige Hilfe und Solidarität gewährt werden, betonte der Papst angesichts der "wachsenden Zahl der Gewalttaten in Syrien mit Toten und Verletzten auch unter Zivilisten".



Nuntius: Religionen in Syrien sollten gemeinsam nach Frieden suchen

Der apostolische Nuntius in Syrien, Mario Zenari, hat Christen und Muslime aufgefordert, sich gemeinsam für ein Ende des Konflikts in dem Nahostland einzusetzen. "Das Krebsgeschwür des Konflikts hat sich in ganz Syrien ausgebreitet", beklagte der Vatikandiplomat am Montag in Radio Vatikan: "Ich appelliere an alle muslimischen, christlichen und anderen Religionsführer, vereinigt euch und ermahnt mit eurem moralischen Gewicht alle Konfliktparteien, Gewalt und Unterdrückung zu beenden."



Der bewaffnete Konflikt führe zu "unsagbarem Leiden und Tod", sagte Zenari. Die Religionsführer müssten mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft einen Friedensprozess in ihrem Land anstoßen, der zu einer "angemessenen politischen Lösung der Krise führt".



Auch Erzbischof Robert Zollitsch verlangte Lösungen, bei denen alle Gruppen ihren Glauben frei ausüben könnten. Die Verantwortlichen müssten in Zukunft ein Zusammenleben "in Frieden, Gerechtigkeit und Respekt voreinander" ermöglichen, so der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Er warnte in einer in Bonn veröffentlichten Erklärung vor einer humanitären Katastrophe. Immer mehr Menschen seien vor den blutigen Gefechten auf der Flucht und die Zahl der syrischen Flüchtlinge in die Nachbarländer steige dramatisch. Vor allem Kinder litten unter der Gewalt.



Zollitsch rief zu Spenden auf. Die Flüchtlinge bräuchten dringend verstärkte Hilfe. Die kirchlichen Werke Caritas international, Misereor, missio und das Kindermissionswerk arbeiteten mit Partnerorganisationen in Syrien und den Nachbarländern zusammen, unterstrich der Erzbischof. Angesichts des zunehmenden Flüchtlingsdramas müssten diese Anstrengungen noch verstärkt werden.



Das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) warnte vor finanziellen Engpässen bei der Nothilfe als Folge der Wirtschaftskrise. Der UNHCR-Vertreter in Deutschland, Michael Lindenbauer, forderte zusätzliche Gelder zur Unterstützung von syrischen Flüchtlingen. Es dürfe nicht dazu kommen, dass das Syrien-Engagement zu Lasten notleidender Menschen beispielsweise in Mali oder im Sudan gehe. Er fürchte, dass Budgetmittel für Mali einfach für Syrien umgewidmet würden. Benötigt würden jedoch zusätzliche Hilfen, sagte Lindenbauer.