Aids-Experte Holger Wicht zu neuen Erkenntnissen in Washington

"Es dauert noch lange, bis HIV-Positive geheilt werden"

Die einen reden von Heilung, andere von drohender Resistenz gegen Medikamente. Neueste Erkenntnis um die Immunschwäche Aids und ihren Erreger HIV werden derzeit auf der internationalen Aids-Konferenz in Washington thematisiert, die noch bis Freitag stattfindet. Über Prognosen und berechtigte Hoffnungen spricht Holger Wicht von der Deutschen Aids-Hilfe im Interview.

 (DR)

KNA: Herr Wicht, was steht im Mittelpunkt der Internationalen Aids-Konferenz?

Wicht: Ein großes Thema ist die Frage nach der Heilung. Insbesondere die Internationale Aids Gesellschaft sagt: In absehbarer Zeit könnte die HIV-Infektion heilbar werden. Es kann aber niemand sagen, wann die Forschung den Durchbruch schafft. Bis eine Heilung für HIV-positive Menschen weltweit zur Verfügung steht, wird es auf jeden Fall noch lange dauern.



KNA: Während auf der Konferenz von Heilung gesprochen wird, gehen in den Medien Informationen über resistente HI-Viren um. Wie passt das zusammen?

Wicht: Grundsätzlich ist das kein Widerspruch. Wenn wir von Heilung reden, geht es um ganz verschiedene Ansätze, zum Beispiel gentechnische Forschung. Resistente HI-Viren treten gegen die Medikamente auf, die HIV-Positive bereits einnehmen. Die Resistenzen können sich entwickeln, wenn sich nicht genug von den Wirkstoffen im Blut befindet. Das bedeutet aber nicht das Ende der Therapie! Wenn das Virus widerstandsfähig gegen bestimmte Substanzen wird, kann der Patient immer noch umgestellt werden auf andere Kombinationen von Medikamenten.



KNA: Experten sprechen mittlerweile davon, dass Aids in fünf, sechs Jahren nur noch eine chronische Krankheit sein könnte. Wie schätzen Sie das ein?

Wicht: In Deutschland sprechen wir sogar jetzt schon davon. Wenn HIV-Positive rechtzeitig von ihrer Infektion erfahren und zum richtigen Zeitpunkt Therapien bekommen, haben sie eine annähernd normale Lebenserwartung. Das Krankheitsbild Aids lässt sich dann in aller Regel vermeiden. In vielen ärmeren Ländern sieht das allerdings noch ganz anders aus.



KNA: Warum? Die Medikamente scheinen doch da zu sein?

Wicht: Sieben Millionen Menschen weltweit brauchen sie dringend und bekommen sie nicht! Es gibt zwar ein gut wirksames internationales Instrument zur Bekämpfung von HIV, den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria. Aber dessen Töpfe sind nicht ausreichend gefüllt. Die internationale Staatengemeinschaft und vor allem Deutschland müssen mehr Geld aufbringen, um der Epidemie noch wirkungsvoller zu begegnen. Gerade Deutschland zahlt im Vergleich zu wirtschaftlich ähnlich leistungsfähigen Ländern viel zu wenig ein.



KNA: Und wenn das Geld da wäre? Wäre es tatsächlich so einfach, der Krankheit ein Ende zu setzen?

Wicht: Wir können der Krankheit Aids ein Ende setzen, auch wenn sich das Virus HIV vermutlich noch lange Zeit nicht ganz aus der Welt schaffen lässt. Es ist eine Frage des politischen Willens, ob Menschen wirksame Medikamente bekommen oder nicht. Medizin ist aber nicht alles. Die Prävention ist genauso wichtig; etwa die Aufklärung, die zur jeweiligen Kultur und zum Lebensstil der Menschen passt, und vor allem das offene Reden über HIV und die Möglichkeiten, sich zu schützen. Oft trauen sich Menschen nicht, einen Test zu machen, weil sie Angst vor Diskriminierung haben.



KNA: Sprechen die Betroffenen auf der Konferenz auch über solche sozialen Faktoren?

Wicht: Natürlich, Diskriminierung ist immer ein Thema, beispielsweise bei Drogenkonsumenten und homosexuellen Männern. Es ist wichtig zu verstehen, dass Diskriminierung unmittelbar der Prävention schadet - also zur Verbreitung von HIV beiträgt. Das beste Beispiel ist die Konferenz selbst: Drogenkonsumenten und Sexarbeiter dürfen nicht in die USA einreisen. Ein Unding - wie soll man gemeinsam der HIV-Epidemie begegnen, wenn besonders betroffene Gruppen nicht einmal das Land der Konferenz betreten dürfen?



KNA: Kurz vor der Konferenz hat der Hype um das angeblich schon präventiv wirksame Medikament Truvada Hoffnungen geschürt bei HIV-Positiven und ihren Partnern. Wie ist da Ihre Einschätzung?

Wicht: Deutsche Experten betrachten Truvada eher zurückhaltend. Die Tablette kommt als Präventionsmittel für eine breite Masse nicht in Frage. Außerhalb fester Partnerschaften sind und bleiben Kondome die sicherste Art, sich zu schützen. Und eine Therapie des HIV-positiven Partners schützt den Negativen besser als wenn er oder sie selbst Medikamente nimmt. Trotzdem sind hier in den USA einige Leute bezüglich Truvada geradezu enthusiastisch und stellen sich vor, die Tablette für viele Menschen als Vorbeugungsmittel anzuwenden. Wir sagen: Es kann eine Möglichkeit für bestimmte Gruppen mit hohem Infektionsrisiko sein. Da herrscht aber noch Forschungsbedarf.



Das Interview führte Larissa Hinz.