Verfassungsrechtler Hillgruber zum Streit um Beschneidungen

"Von der elterlichen Sorge gedeckt"

Der Bundestag wird am Donnerstag außerplanmäßig über die Folgen des Kölner Urteils zur Beschneidung debattieren. Die Bundesregierung will voraussichtlich bis Herbst eine rechtliche Regelung vorlegen. Der Bonner Verfassungsrechtler Christian Hillgruber erläutert den rechtlichen Rahmen und äußert sich zu möglichen Lösungen.

Autor/in:
Christoph Scholz
 (DR)

KNA: Herr Professor Hillgruber, worum handelt es sich bei der Beschneidung aus strafrechtlicher Sicht?

Hillgruber: Strafrechtlich geht es immer um den Tatbestand der Körperverletzung. Die Frage ist, ob sie gerechtfertigt ist. Weil es um Minderjährige geht, ist dabei die Einwilligung der Eltern nötig, die wiederum dem Kindeswohl dienen muss. Ist die Beschneidung also nicht medizinisch indiziert, kann sie nur mit dem elterlichen Sorgerecht begründet werden.



KNA: Wo liegen die Grenzen?

Hillgruber: Laut Gesetz haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung - körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigen Maßnahmen sind unzulässig. Das ist etwa bei der weiblichen Genitalverstümmelung der Fall. Deshalb herrscht Konsens, dass diese keinesfalls akzeptabel ist.



KNA: Und wie ist die männliche Beschneidung zu bewerten?

Hillgruber: Sie stellt einen wesentlich geringfügigeren Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar, der zudem sehr oft schon aus gesundheitlichen Gründen vorgenommen wird und keine bleibenden Schäden hinterlässt.



KNA: Wie lässt sich aber eine religiöse Beschneidung rechtlich rechtfertigen?

Hillgruber: Durch das elterliche Erziehungsrecht in Verbindung mit der Religionsfreiheit. Diese gibt Eltern das Recht, die von ihnen für richtig gehaltene religiöse Erziehung ihren Kindern angedeihen zu lassen. Dazu gehört im Judentum und Islam traditionell die Beschneidung. Damit wären also zwei Grundrechtspositionen abzuwägen: Das elterliche Erziehungsrecht, das ein Bestimmungsrecht in religiösen Angelegenheiten mit umfasst, und die körperliche Unversehrtheit des Jungen.



KNA: Die Orthodoxe Rabbinerkonferenz spricht beim Verbot von einem Angriff auf die Religionsfreiheit.

Hillgruber: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts versteht die Religionsfreiheit in der Tat sehr weitgehend. Der Einzelne kann sein ganzes Leben an seiner Glaubensüberzeugung ausrichten. Und Eltern können ihre Kinder in gleicher Weise daran teilhaben lassen. Im Judentum und Islam umfasst dies die Beschneidung. Ein Verbot wäre dann tatsächlich eine "Beschneidung" ihrer Religionsfreiheit.



KNA: Das Kölner Landgericht argumentiert, das Kind solle im mündigen Alter selbst darüber entscheiden.

Hillgruber: Damit verkennt das Gericht das auch religiöse elterliche Erziehungsrecht. Mit demselben Argument könnte der Staat die Taufe von Kleinkindern verbieten. Bei der Beschneidung überwiegt eindeutig das Recht auf Religionsfreiheit. Der umgekehrte Fall liegt etwa vor, wenn aus religiösen Gründen eine Bluttransfusion verweigert wird. Hier überwiegt eindeutig das dadurch unmittelbar gefährdete Lebensrecht des Kindes.



KNA: Wieso kann der Gesetzgeber nicht einfach ein Gesetz verabschieden, das die Beschneidung erlaubt?

Hillgruber: Ich halte das für nicht sinnvoll. Denn dann kommen wir zu Einzelfallregelungen, die immer die Frage nach weiteren ungeregelten Grenzfällen aufwerfen.



KNA: Was halten Sie vom Vorschlag, analog zur Abtreibungsgesetzgebung die Beschneidung zwar zu verbieten, aber straffrei zu stellen?

Hillgruber: Zunächst halte ich einen Vergleich der Tatbestände für völlig unangebracht. Aber auch gesetzestechnisch hat sich das Vorgehen in keiner Weise bewährt. Diese Konstruktion ist bestenfalls Juristen eingängig. Eigentlich winkt man den Tatbestand augenzwinkernd durch. Hier müsste der Widersinn der Abtreibungsgesetzgebung auch für die Beschneidung herhalten.

Außerdem würde die Verankerung der Beschneidung im Strafrecht die Beschneidung unangemessen in die Nähe einer Straftat rücken.



KNA: Wie bewerten Sie die Klarstellungen im Familienrecht oder Patientenrechtegesetz, wie es das Justizministerium prüft?

Hillgruber: Dieser Weg scheint mir politisch wie juristisch am sinnvollsten. Das Patientenrechtegesetz soll allerdings das Verhältnis der Patienten zu den Erbringern medizinischer Leistungen und den Krankenkassen unter Stärkung der Patientenrechte regeln.



KNA: Wie würden sie es dann im Familienrecht regeln?

Hillgruber: Hier geht es um die Frage der Reichweite des elterlichen Sorgerechts. Der Gesetzgeber müsste die Beschneidung im Bereich der elterlichen Sorge als eine zulässige Form der Ausübung des elterlichen Rechts zur religiösen Kindererziehung explizit unter der Voraussetzung erlauben, dass sie medizinisch einwandfrei durchgeführt wird. Etwa durch die Formulierung, dass "eine Beschneidung an einem Kleinkind aus religiösen Gründen vom Recht der elterlichen Sorge gedeckt ist, sofern sie medizinisch lege artis durchgeführt wird".





Das Interview führte Christoph Scholz (KNA)