Die katholischen Seiten der Olympiastadt London

Ave Maria und Blackfriars Bridge

Während der Olympischen Spiele wird London noch bunter, internationaler, multikultureller. Wenngleich die meisten Kirchtürme im Stadtbild den Anglikanern gehören - London hat unübersehbar katholische Wurzeln. Davon zeugen nicht nur der Sitz des Erzbischofs und seine neobyzantinische Hauptkirche Westminster Cathedral, sondern auch Straßennamen wie "Ave Maria Lane".

Autor/in:
Burkhard Jürgens
 (DR)

St. Pancras, Startbahnhof für den Shuttle zum Olympischen Dorf, schlägt einen Bogen zum Rom der Spätantike: Am Beginn der Via Aurelia, die von der Ewigen Stadt nach Südfrankreich führt, gründete Papst Symmachus (498-514) über dem Grab des Märtyrers Pankratius eine Basilika, später ergänzt um eine Pilgerherberge. Deren Besucher trugen den Namen des Heiligen aus Dank für die geglückte Reise bis nach London.



Auch die Londoner U-Bahn erinnert an die Zeit vor der Reformation: Die Haltestelle Charing Cross hat ihren Namen von einem der zwölf monumentalen Kreuze, die König Eduard I. im Gedenken an den Leichenzug seiner Gattin Eleonore von Kastilien (1241-1290) errichten ließ. Zwei Metrostationen weiter erreicht der Zug die Haltestelle Covent Garden, früherer Garten der Westminster Abbey; Heinrich VIII. (1491-1547) beschlagnahmte ihn nach dem Bruch mit dem Papst.



Märtyrergeschichte

Die Themse abwärts liegt die Underground-Station Temple: Hier war im 12. Jahrhundert der Hauptsitz der Tempelritter; Dan Brown machte deren Nachbau des Heiligen Grabes von Jerusalem zu einem Schauplatz seines Vatikan-Thrillers "Sakrileg". Der nächste Halt heißt Blackfriars - die "Schwarzen Brüder" oder Dominikaner. Von 1276 bis zur Schließung 1538 lag dort ihr Priorat. Mit der neueren Kirchengeschichte ist die Blackfriars Bridge verknüpft: 1982 fand man unter den schmiedeeisernen Bögen Roberto Calvi, Finanzmanager des Vatikan, tot am Strick. Ob es Suizid war, blieb unklar.



Natürlich führt kein Weg an Westminster Abbey vorbei: In dem ehemaligen Benediktinerkloster, gegründet von König Eduard dem Bekenner (um 1004-1066), wurden Englands Herrscher gekrönt, getraut, bestattet. Mit dem benachbarten Parlamentssitz Westminster Hall verbinden Katholiken den Staatsmann und Humanisten Thomas Morus (1478-1535), der dort prozessiert und verurteilt wurde.



Märtyrergeschichte hängt auch am Benediktinerinnenkloster Tyburn Convent beim Hyde Park: eine Oase der Stille im Zentrum der Metropole. Die Nonnen kamen erst Anfang des 20. Jahrhunderts aus Frankreich. Seit dem Mittelalter stand dort der berüchtigte Tyburn Tree, ein Galgen, an dem während der Reformation 105 Katholiken ihr Leben ließen. Die Ordensfrauen richteten einen "Schrein der Märtyrer" ein, der an alle aus Glaubensgründen hingerichteten Katholiken Englands erinnert.



Heimliche Messen

Weniger bekannt als Gedenkstätte ist "The Ships Tavern". Katholiken nutzten den 1549 gegründeten Pub im Stadtteil Holborn für heimliche Treffen - und für Messen. Der Pfarrer zelebrierte am Tresen, Wachen rings um das Lokal warnten die Gemeinde, wenn Gefahr aufzog; dann kamen flugs Bierhumpen auf die Tische und der Priester in den Keller. Einige Geistliche wurden in ihren Schlupflöchern entdeckt und auf der Stelle hingerichtet. Ihre Schreie, so die Kneipenchronik, sollen noch heute zu hören sein.



Zeitgenössische Katholiken sind weithin unbehelligt. Im Erzbistum Westminster gibt es 480.000 von ihnen, sie entfalten ihr Leben in

216 Pfarreien und in allen Schattierungen. Allein die Traditionalisten haben 16 Kirchen, in denen regelmäßig Messen im tridentinischen Ritus stattfinden, darunter ehrwürdige Adressen wie Corpus Christi in der Maiden Lane oder St. Etheldreda"s am Ely Place.



Gutbetuchte, schicke Katholiken beten hingegen gern nahe dem Einkaufstempel "Harrod"s" im London Oratory. Die dazugehörige Kirche Immaculate Heart of Mary ist der Blickfang der Brompton Road; mit ihrer Neorenaissance-Fassade könnte sie genauso gut in Florenz stehen. Der Popmusiker Nick Cave, Australier und Anglikaner, setzte dem katholischen Gotteshaus mit "Brompton Oratory" ein musikalisches Denkmal. Kleine Ökumene im bunten London.