Erzbischof Müller rechnet mit Gegenwind

Kein Altersruhesitz in Rom

Der neue oberste Glaubenshüter der katholischen Kirche, Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, warnt vor antireligiösen Tendenzen in Deutschland. dapd-Korrespondent Petr Jerabek sprach mit dem 64 Jahre alten Präfekten der Glaubenskongregation über das Beschneidungsurteil, Kirchenfeindlichkeit und den Spott des Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung Markus Löning (FDP) über Religionen.

 (DR)

dapd: Herr Erzbischof, das Gerichtsurteil zur Strafbarkeit ritueller Beschneidungen von Jungen hat in Deutschland eine kontroverse Debatte ausgelöst. Wie steht es hierzulande um die Religionsfreiheit?--
Erzbischof Müller: Jedes Gericht muss auf der Rechtsgrundlage der Verfassung stehen und kann sie nicht aushebeln. Es gibt Menschenrechte, und dazu gehört die Religionsfreiheit. Die Aussage, dass es sich hier um Körperverletzung handelt, kann man nicht akzeptieren. Denn es ist kein Eingriff in wesentliche Funktionen des Menschen. Wer dazu schweigt, wenn Ungeborenen das Leben genommen wird, hat kein moralisches Recht, die Beschneidung zu kriminalisieren. Natürlich sind Kinder nicht Eigentum der Eltern, sondern eigene Persönlichkeiten. Aber Eltern treffen für Kinder Entscheidungen. Ich glaube, die Kombination von Religionsfreiheit und Elternrecht erlaubt es nicht, dass ein so uralter religiöser Brauch, der für den jüdischen Glauben identitätsstiftend ist, in die Kategorie Körperverletzung eingeordnet wird. Es wurde bei manchen Gerichtsurteilen festgestellt, dass einige Verantwortliche von den Inhalten wenig Ahnung haben und einfach formalistisch Entscheidungen treffen, die wie hier die religiöse und kulturelle Identität des Judentums in Frage stellen. Und das auf dem Hintergrund unserer deutschen Vorgeschichte.--
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dapd: Also ist dieses Urteil Ihrer Einschätzung nach kein Einzelfall? Erkennen Sie da eine Tendenz, die Religionsfreiheit zunehmend auszuhöhlen?--
Müller: Ich weiß nicht, ob das eine Tendenz ist, aber jedenfalls gibt es eine Kirchenfeindlichkeit in manchen Einrichtungen und Institutionen, die menschenrechtswidrig ist. Wir als Katholiken, als evangelische Christen oder Juden haben die gesamte abendländische Tradition grundgelegt, die Menschenrechte kommen letztlich aus unserem Menschenbild - rational begründbar. Wir sind hier in Deutschland oder in Europa nicht eine Minderheit, die man an den Rand schieben und aus dem öffentlichen Leben verbannen könnte. In diesen Dingen spielen oft persönliche Voreingenommenheiten eine Rolle. Und dann benutzt man seine Macht in den Medien oder öffentlichen Einrichtungen, um der katholischen Kirche schön mal eins drüberzuziehen. Das ist eine Prolongation der eigenen Ressentiments.--
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dapd: Inwieweit trifft das auch auf die Politik zu?--
Müller: Natürlich gibt"s auch in der Politik solche Tendenzen. In manchen Gruppierungen oder Parteien werden unter dem Stichwort "Privilegien der Kirche" Dinge als Privileg bezeichnet, als etwas, was gar nicht verfassungsmäßig begründet wäre, bei denen es sich um ganz klare Rechte handelt. Dass versucht wird, diese Rechte der Kirchen aus dem Weg zu räumen, können wir nicht akzeptieren. Die Kirche genießt keine Privilegien, braucht keine Privilegien. Aber wir beanspruchen ganz klar die Religionsfreiheit individueller wie auch sozialer Art. Zu unserem Glauben gehört die Gemeinschaftsbildung dazu, gehört das Teilnehmen am öffentlichen Leben. Und weder aus dem sozialen noch aus dem öffentlichen Leben können wir uns ausschließen lassen.--
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dapd: Für Verärgerung bei Christen hat vor einigen Wochen der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), gesorgt: Er hat sich im Internet über Religion lustig gemacht und soll dann verkündet haben, er habe die Toleranz von Gläubigen prüfen wollen.--
Müller: Eine solche Aussage, und ein solches Verhalten, wenn sie so zutrifft, spricht für sich. Das ist ein Mann am falschen Platz.--
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dapd: Das heißt, er sollte aus dem Amt entlassen werden?--
Müller: Es ist ja ein totaler Widerspruch: Ein Menschenrechtsbeauftragter verletzt die Menschenwürde gläubiger Menschen und will sein schreiendes Fehlverhalten damit rechtfertigen, dass er diejenigen, die er beleidigt, jetzt auch noch testen will. Welches Recht hat er denn eigentlich, andere Leute zu testen? "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Das ist das Maß unseres Grundgesetzes, weil nur ein paar Jahre zuvor brutal dagegen verstoßen wurde.--
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dapd: Wie lautet beim Thema Religionsfreiheit Ihr Appell an die Politik?--
Müller: Eine Gesellschaft ist noch nie gut gefahren, wenn sie Religionsmarginalisierung betrieben hat, wenn sie das Christentum, das Judentum oder andere große Religionen, die zu unserer europäischen Tradition wesentlich dazugehören, bekämpft oder versucht hat, sie öffentlich auszuschalten. Unsere Soziallehre ist nach wie vor das Beste für eine gut gelingende pluralistische Gesellschaft. Niemand darf die Religionsfreiheit einschränken oder meinen, sie von seinen Gnaden zu gewähren. Sie ist grundlegendes Menschenrecht, das aller staatlichen und öffentlichen Gewalt vorausgeht.--
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