Integrationsbericht offenbart Nachholbedarf auf dem Arbeitsmarkt

Nicht auf Augenhöhe

Der jüngste Integrationsbericht gibt nach Meinung von Migrationsexperten keinen Anlass zum Jubeln. "Wir sind als Gesellschaft noch nicht so weit, dass wir Menschen mit Migrationshintergrund auf gleicher Augenhöhe sehen", bewertet der Leiter der Migrations- und Flüchtlingsarbeit in Bonn, Hidir Celik, im domradio.de-Interview.

 (DR)

Celik sieht vorallem Handlungsbedarf auf dem Arbeitsmarkt. Allein ein Name wie "Celik" statt "Müller" führe bei Arbeitgebern oft dazu, dass sie Bewerber von vorneherein ausgrenzten und nicht zu Vorstellungsgesprächen nicht einladen. Der Leiter der Migrations- und Flüchtlingsarbeit des Evangelischen Kirchenkreises Bonn spricht sich für anonymisierten Bewerbungen aus.



Mehr Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst gefordert

Fremdenfeindlichkeit könne man zwar nicht mit Gesetzen bekämpfen, aber wichtige Signale könnten mit der Besetzung von Stellen im öffentlichen Dienst mit Menschen mit Migrationshintergrund gesetzt werden. Menschen, die in zweiter oder dritter Generation die deutsche Staatsbürgerschaft besetzen, würden weiterhin als Ausländer angesehen. Hier seien Aufklärungskampagnen nötig.



Die Arbeitslosigkeit von Ausländern ist nach wie vor mehr als doppelt so hoch wie die der Deutschen (Quote 2011: 7,2%). Das geht aus dem am Mittwoch in Berlin vorgestellten 9. Ausländerbericht hervor. Auch wenn sich im Zuge der verbesserten Lage auf dem Arbeitsmarkt auch die Situation für Menschen mit Migrationshintergrund - insbesondere für Ausländer - gebessert habe. So waren 2011 durchschnittlich über 200.000 Ausländer weniger als arbeitslos gemeldet als im Jahr 2005.



Immer mehr Migranten bekommen Schulabschluss

Jugendliche mit Migrationshintergrund bekommen immer häufiger einen Schulabschluss und einen Ausbildungsplatz. Die Quote bei Hauptschul- und mittleren Schulabschlüssen von Schülern mit und ohne Migrationshintergrund habe sich zwischen 2005 und 2010 kontinuierlich angenähert, sagte die Bundesintegrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU) bei der Vorstellung des Berichts. Bleibe es bei diesem Tempo, werde das Verhältnis in zehn Jahren ausgeglichen sein.



Bei den höheren Abschlüssen Abitur und Fachhochschulreife sei dies jedoch nicht zu erwarten, obwohl auch hier die Zahl von Migranten steige, ergänzte Böhmer. Der Anteil der ausländischen Schüler, die ohne Abschluss die Schule verlassen, sank unterdessen von 2004 bis 2010 um 39 Prozent, bei deutschen Schülern sank er in etwa gleichem Maße.



Schüler, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, besuchen dem Bericht zufolge am häufigsten die Hauptschule (33 Prozent). Während rund die Hälfte der deutschen Schüler ein Gymnasium besucht, ist es bei ausländischen nur jeder vierte.



Die Ausbildungsquote ausländischer Jugendlicher lag 2010 bei 33,5 Prozent. Seit 2007 (30,2 Prozent) ist sie zwar kontinuierlich, aber gering gestiegen. Die Statistik erfasst dabei ebenfalls nur Jugendliche mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Junge Erwachsene, die eingebürgert wurden oder bereits von Geburt an Deutsche sind, werden nicht erfasst.



Böhmer fordert Unternehmen zur Öffnung auf

Böhmer betonte, dass hinsichtlich der Ausbildungssituation für Migranten noch viel getan werden müsse. Sie appellierte an Unternehmen, sich stärker für Migranten zu öffnen. Die Vielfalt der Bevölkerung in Deutschland müsse sich zudem auch im öffentlichen Dienst widerspiegeln.



Wie aus dem Bericht weiter hervorgeht, geben immer mehr Zuwandererfamilien ihre Kinder in Betreuungseinrichtungen. 2010 waren knapp 86 Prozent der über dreijährigen Kinder in öffentlich geförderter Betreuung (2008: 81,8 Prozent). Bei unter Dreijährigen stieg die Quote von gut neun Prozent 2008 auf 14 Prozent im vergangenen Jahr.



Böhmer betonte, dass die frühe Sprachförderung von Kindern ab drei Jahren besonders wichtig sei. Das Betreuungsgeld, das an Eltern von unter Dreijährigen gezahlt werden solle, sehe sie deswegen entspannt, obwohl sie nie zu denjenigen gehört habe, "die dem Betreuungsgeld das Wort reden", sagte die Staatsministerin.



Opposition warnt vor Hürden im Einbürgerungsverfahren

Während der integrationspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Serkan Tören, den Bericht als Erfolg schwarz-gelber Politik wertete, sehen Vertreter der Opposition weiteren Handlungsbedarf bei der Integration. Der zuständige Sprecher der Grünen-Fraktion, Memet Kilic, mahnte die Beseitigung von Hürden im Einbürgerungsverfahren an. Die Integrationsbeauftragte der SPD-Fraktion, Aydan Özuguz, forderte die Einführung anonymisierter Bewerbungen, um die Chancen am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu erhöhen.



Der Vorsitzende des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration, Klaus J. Bade, begrüßte die Entwicklung im Bildungsbereich. "Das ist eine erneute Ohrfeige für die Vertreter des Geredes von der "gescheiterten Integration" in Deutschland", erklärte Bade in Berlin. Mit Verweis auf die frühe Sprachförderung kritisierte Bade erneut das Betreuungsgeld als "bildungspolitisches Eigentor erster Ordnung".



Der aktuelle 9. Ausländerbericht beurteilte die Lage von Migranten von Frühjahr 2010 bis 2012. Im Jahr 2010 lebten 15,7 Millionen Migranten in Deutschland. 8,6 Millionen von ihnen haben die deutsche Staatsbürgerschaft. Im Gegensatz zur schrumpfenden Gesamtbevölkerung ist der Anteil von Migranten demnach im Vergleich zu den Vorjahren leicht gestiegen.