Von der UN-Konferenz "Rio+20" werden viele Antworten erwartet

Zukunftsgipfel in schwieriger Zeit

Green Economy bewegt Unternehmer und Umweltschützer. Doch wie das ökologische Wirtschaften funktionieren soll, ist vor der UN-Konferenz "Rio+20" heiß umstritten. "Und wo bleibt die Gerechtigkeit?" fragen Vertreter der Entwicklungsländer.

Autor/in:
Elvira Treffinger
 (DR)

Green Economy bewegt Unternehmer und Umweltschützer. Doch wie das ökologische Wirtschaften funktionieren soll, ist vor der UN-Konferenz "Rio+20" heiß umstritten. "Und wo bleibt die Gerechtigkeit?" fragen Vertreter der Entwicklungsländer.



Die Finanzkrise wirft große Schatten auf eine riesige Konferenz, die eine Vision für eine gesündere und gerechtere Welt entwerfen soll. Zum Nachhaltigkeitsgipfel "Rio+20" der Vereinten Nationen werden vom 20. bis 22. Juni mehr als 100 Staats- und Regierungschefs in Rio de Janeiro erwartet. Auch Zehntausende Aktivisten wollen nach Brasilien reisen. Doch wegen der Euro- und der Schuldenkrise wird die Konferenz kaum an die Aufbruchstimmung der Umwelt- und Entwicklungskonferenz von 1992 in Rio anknüpfen können.



Der Nachhaltigkeitsgipfel soll die Weichen für "grünes Wirtschaften" stellen, damit der Raubbau an der Natur beendet, die weltweite Armut gelindert und die Erde für künftige Generationen gerettet wird. Doch beim Konzept der "Green Economy" beginnt bereits der Zwist: Ist ein ökologisches Wirtschaftswunder möglich? Während viele Unternehmer auf "grünes Wachstum" mit Hilfe der Umwelttechnik hoffen, plädieren Entwicklungsexperten, Umweltschützer und Kirchen für Grenzen des materiellen Wohlstands. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, wirbt für eine "Ethik des Genug".



Töpfer: Kein Konsumverzicht ohne kluges Konzept

"Die Zukunft, die wir wollen" steht über der Erklärung, die die Regierungspolitiker in Rio verabschieden sollen. Weite Passagen sind aber noch strittig. Es fehlt an Einsicht und echter Reformbereitschaft. Die Industrienationen treibt die Angst vor einer Rezession um. Die Entwicklungs- und Schwellenländer befürchten, dass der Norden die "Green Economy" zum Vorwand nimmt, seine Märkte abzuschotten, bald Klimazölle zu verlangen und ihnen Umwelttechnik teuer zu verkaufen. "Alle wollen weitermachen wie bisher", seufzt der Handels- und Umweltexperte des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED), Michael Frein.



Und auch der sonst stets optimistische Umweltexperte Klaus Töpfer sorgt sich, weil die Finanzkrise die Aussichten für die Rio-Konferenz dramatisch verschlechtert habe. "Wir leben ökologisch und ökonomisch über unsere Verhältnisse", sagt der frühere Bundesumweltminister (CDU) und ehemalige Leiter des UN-Umweltprogramms. Doch Konsumverzicht ohne kluges Konzept reiche nicht. "Es gibt auch bei uns immer mehr Arme, bei denen der Rat, weniger zu konsumieren, reiner Zynismus wäre", sagte Töpfer in einem Interview der "Frankfurter Rundschau". Für ihn zeigt die Krise ganz klar, dass die Finanzmärkte, die immer wieder neue problematische Spekulationsblasen aufwerfen, gezähmt werden müssen.



Vorreiter Deutschland?

Der Ökonom Reinhard Loske etwa bedauert, dass die "Wachstumsideologie" wieder als Allheilmittel zur Lösung der Finanzkrise Furore macht. Klimaschutz also nur, wenn es dem Wachstum dient? Für manche Aktivisten ist die Zauberformel "Green Economy" geradezu gefährlich, weil sie ungehemmten Kapitalismus im grünen Gewand rechtfertigen kann. Unternehmerverbände warnen indes, dass der Verzicht auf Wachstum in die Armut führe. Auch Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) warnt vor Kapitalismusschelte und Wachstumsskepsis: Die nachlassende Nachfrage der Industrieländer würde auch den armen Ländern schaden.



Niebel wird zusammen mit dem neuen Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) Deutschland auf dem Gipfel vertreten. Altmaier will sich viel Zeit für Gespräche mit Vertretern von nichtstaatlichen Organisationen nehmen. Mit Enttäuschung wurde indes im In- und Ausland die Absage von "Klimakanzlerin" Angela Merkel (CDU) aufgenommen, zumal Deutschland sich seit 1992 stets als Vorreiter in Sachen Umweltschutz auf der internationalen Bühne präsentiert hat. Das galt auch für die Folgekonferenz 2002 in Johannesburg, zu der damalige Kanzler Gerhard Schröder (SPD) reiste und einen Fonds für erneuerbare Energien gründete.



"Es wird zusammen gewonnen oder verloren"

Selbst wenn die Chinesen Öko-Autos kaufen, ist das Erdklima nicht zu retten. Umwelt- und Entwicklungsexperten reicht das Fördern von Energie-Effizienz und "Green Economy" nicht, wenn keine absoluten Grenzen gesetzt werden. Die Erde und ihre natürlichen Reichtümer sind endlich, aber rund eine Milliarde Menschen leben in absoluter Armut, ebenso viele hungern und haben keinen elektrischen Strom.



"Heute muss die Atmosphäre als globales Gemeingut betrachtet werden - und dessen Management ist eine ökonomische Herausforderung, aber auch eine Frage globaler Gerechtigkeit", sagt Ottmar Edenhofer, Chef-Ökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Gerechtigkeit wollen Tausende von Aktivisten aus aller Welt auf ihrem eigenen "Gipfel der Völker" einfordern. "Der Kampf gegen Armut und gegen den Klimawandel wird zusammen gewonnen - oder verloren", betont Bernd Bornhorst vom katholischen Hilfswerk Misereor.