Kritik an Ukraine wächst

Rote Karte

Am Freitag ist Anstoß für die Fußball-Europameisterschaft. Bis zum Finale am 1. Juli in Kiew schaut die Welt auf Polen und die Ukraine. Kritiker zeigen der Regierung von Präsident Janukowitsch schon vor dem ersten Anpfiff die Rote Karte.

 (DR)

Wenige Tage vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft wächst die Kritik an der Menschenrechtslage in der Ukraine. Amnesty International rief Sportler, Funktionäre und Fans auf, "den Mund auf zu machen" und die Menschenrechtsverletzungen zu thematisieren. Amnesty-Generalsekretär Wolfgang Grenz erklärte am Dienstag in Berlin, Folter und Misshandlungen in ukrainischen Gefängnissen und in Polizeigewahrsam seien an der Tagesordnung. Menschen würden willkürlich verhaftet, ethnische Minderheiten und Flüchtlinge häufig diskriminiert.



Der Europa-Abgeordnete Werner Schulz (Grüne) rief dazu auf, die EM-Spiele in der Ukraine trotz der prekären Menschenrechtslage im Land zu besuchen. "Man sollte Flagge zeigen", sagte Schulz im rbb-Inforadio in Berlin. "Man sollte protestieren, man sollte deutlich machen, was man von den Zuständen in diesem Land hält. Und dass man die Freiheit der Inhaftierten, der politischen Gefangenen fordert." Die Lage der Menschenrechte in der Ukraine sei verheerend, sagte Schulz, der Mitglied im Kooperationsausschuss EU-Ukraine ist. Der Fall der ehemaligen Regierungschefin Julia Timoschenko sei nur die Spitze der Ungerechtigkeit. Praktisch sitze die gesamte vorherige Regierung hinter Gittern oder sei im Exil.



Folter und Amtsmissbrauch durch die Polizei

Auch Grenz betonte, es dürfe bei der Kritik nicht nur um Timoschenko gehen. Folter und Amtsmissbrauch durch die Polizei treffe viele Ukrainer. Kernforderungen von Amnesty International an die Ukraine sind die zügige Umsetzung einer grundlegenden Reform der Strafprozessordnung sowie die Sicherstellung einer unabhängigen Justiz. Die in Polen und der Ukraine ausgetragene Fußball-Europameisterschaft 2012 wird am Freitag in Warschau eröffnet. Die deutsche Mannschaft bestreitet alle Vorrundenspiele in der Ukraine.



Der populäre ukrainische Schriftsteller Juri Andruchowytsch sagte der "Berliner Zeitung" (Dienstagsausgabe), die Ukraine sei derzeit kein Land für eine Fußballfest, sondern vor allem ein Land, in dem es politische Häftlinge gibt und gefoltert wird: "Das ist keinesfalls die beste Zeit in der jüngsten ukrainischen Geschichte. Vor allem, weil wir noch nie eine so inkompetente und brutale Regierung hatten."



Vor diesem Hintergrund hätte dem Land die Fußball-EM wieder weggenommen werden müssen, sagte der Autor weiter. Die EM passe "überhaupt nicht in diese Situation". Das Land erlebe keine Krise, sondern einen Untergang. Er hoffe nun auf die vielen Fußball-Fans, die die Möglichkeit bekommen, mit den Ukrainern zu kommunizieren: "In dem Sinne war ich gegen einen Boykott: Kommt zu uns, und wir machen die Massenproteste zusammen!" Der 1960 geborene Autor gilt als wichtige Stimme seines Landes. Werke wie "Perversion" oder "Moscovadia" zählen zu den Klassikern der ukrainischen Gegenwartsliteratur.