Nach der Verhaftung des Papst-Butlers gehen Enthüllungen weiter

Nachschub für "Vatileaks"?

Vatileaks geht in die nächste Runde: Wieder wurden geheime Dokumente an die Presse lanciert, dieses Mal mit einem anonymen Schreiben, in dem Vorwürfe gegen Papstsekretär Gänswein erhoben werden. Hier lesen Sie eine Einschätzung von Vatikan-Journalist Johannes Schidelko. Dazu: Ein Audio-Kommentar von Radio-Vatikan-Leiter Pater Bernd Hagenkord und als Audio-Interviews Gespräche mit Vatikan-Journalist Paul Badde und Pater von Eberhard Gemmingen, dem ehemaligen Leiter von Radio Vatikan, der die Haupttäter außerhalb des Vatikans vermutet: "Der Kammerdiener wurde unter Drohung mit Gefahr für Leib und Leben seiner Familie erpresst."

Pater Eberhard von Gemmingen (KNA)
Pater Eberhard von Gemmingen / ( KNA )

Anfang dieser Woche soll die offizielle Vernehmung des päpstlichen Kammerherrn Paolo Gabriele wegen des Verdachts auf schweren Diebstahl beginnen. Seine beiden Anwälte haben sich Zeit genommen, das Material zu sichten: die Vorermittlungen von Staatsanwalt Nicola Picardi und Protokolle der Gendarmerie, die in der Wohnung des Butlers offenbar stapelweise päpstliche Geheimdokumente gefunden hat. Parallel dazu setzt die Kommission aus drei Kardinälen, die die Affäre aufklären sollen, ihre Sondierungen fort.



Das Welttreffen katholischer Familien in Mailand hat Benedikt XVI. über das Wochenende zumindest räumlichen Abstand von Rom und den Spekulationen um den Geheimnisverrat in seiner nächsten Nähe gewährt. Allerdings wurde er auch in diesen Tagen von "Vatileaks" eingeholt. Die Zeitung "La Repubblica" druckte am Sonntag drei weitere Dokumente ab - zwei Briefe von Papst-Sekretär Georg Gänswein und ein Schreiben von Kurienkardinal Raymond Leo Burke, der vor zu großen Zugeständnissen gegenüber der geistlichen Bewegung des "Neokatechumenalen Wegs" warnt.



Diese Veröffentlichungen nach der Verhaftung des Kammerherrn am 23. Mai sind jedoch noch kein Beweis, dass Gabriele nicht der einzige "Maulwurf" sein kann. Eines der Schreiben Gänsweins in der "Repubblica" trägt das Datum vom 19. Februar 2009; das andere ist undatiert. Die Stellungnahme von Kardinal Burke stammt vom Januar. Auch diese Texte könnten theoretisch von Gabriele entwendet worden sein. Ohnehin dürften der Journalist Gianluigi Nuzzi, der mit der Publikation zahlreicher Geheimdokumente in seinem Buch "Sua Santita" eine Bombe platzen ließ, und seine Informanten nicht schon ihr ganzes Pulver verschossen haben. Auch Vatikansprecher Federico Lombardi räumte am Sonntag ein, man müsse in nächster Zeit mit weiteren Enthüllungen rechnen.



Die Vernehmung Gabrieles durch den vatikanischen Richter Piero Antonio Bonnet soll nun die Hintergründe aufhellen. In den Spekulationen italienischer Medien tritt derzeit die Theorie von der großen Verschwörung, die durch höchste Würdenträger orchestriert sein könnte, etwas zurück. Der Papst hat seinen engsten Mitarbeitern öffentlich sein Vertrauen bekundet. In Mailand demonstrierte Benedikt XVI. optisch den Schulterschluss mit seinem Kardinalssekretär Tarcisio Bertone und dieser mit Gänswein.



Italienische Rechtsnormen gültig

Falls es sich also nicht um eine Kampagne alter Seilschaften oder neuer Geheimbünde im Vatikan gegen den Papst oder seine engsten Mitarbeiter handelt, bliebe die These von lose zusammenarbeitenden "Gesinnungstätern" - Angestellte aus Kurienbüros, die sich aus unterschiedlichen Motiven zu dieser Aktion entschlossen und in Gabriele einen Verbündeten mit besten Verbindungen gefunden hätten. Allerdings bliebe die Frage nach einem Initiator. Auch ist weiter unklar, ob Geld oder irgendwelche Verpflichtungen eine Rolle spielten.



Auffallenderweise nimmt das Schreiben, das den drei jüngsten Dokumenten der "Repubblica" beigefügt war, neben Bertone auch Gänswein ins Visier. Schon zuvor hatten Medien gemutmaßt, der in letzter Zeit gewachsene Einfluss des Privatsekretärs von Benedikt XVI. stoße an der Kurie nicht nur auf Begeisterung.



Offen ist, ob der Vatikan Italien um Rechtshilfe bittet und wie diese aussehen könnte. So oder so würden, wenn es zu einem juristischen Vorgehen gegen den Journalisten Nuzzi und mögliche Helfer käme, italienische Rechtsnormen angewendet: Der Vatikan hat das italienische Strafrecht von 1929 mit kleinen Modifizierungen für sich übernommen. Das heutige italienische Strafrecht sieht in Artikel 625 für schweren Diebstahl Haft von einem bis sechs Jahren vor.