Deutscher Seelsorger über islamistische Kandidaten bei Präsidentenwahl

Schicksalswahl am Nil

Rund ein Jahr nach dem Sturz von Husni Mubarak und Jahrzehnten autoritärer Herrschaft wählt Ägypten einen neuen Präsidenten. Im domradio.de-Interview spricht Monsignore Joachim Schrödel, Seelsorger der deutschsprachigen Gemeinde in Kairo, über die Kandidaten aus dem islamistischen Lager. "Wir hoffen natürlich, dass einer der liberaleren Kandidaten Präsident wird und nicht etwa, dass Ägypten in eine Theokratie abrutscht."

 (DR)

domradio.de: Für heute und morgen ist der erste Wahldurchlauf angesetzt, aber wahrscheinlich wird es eine Stichwahl geben, oder?

Monsignore Schrödel: Ja, es ist interessant, dass doch etwa 45 Prozent der Wähler nicht entschieden sind, wen sie überhaupt wählen wollen. Das ist natürlich eine immens große Zahl. Es haben sich von den dreizehn Kandidaten vier herauskristallisiert, die wohl mögliche Präsidenten werden könnten, aber in Ägypten ist man nie sicher und selbst irgendwelche Umfragen sind letztlich nicht aussagekräftig genug. Wir werden mit sehr großer Spannung die Wahlen jetzt verfolgen.



domradio.de: Also 13 Kandidaten stehen zur Wahl - mit wem ist denn überhaupt zu rechnen? Nur vier sind realistische, ernsthafte Anwärter.

Monsignore Schrödel: Das ist richtig und bei den Vieren ist es so, dass wir zwei aus einem eher liberalen Lager kommen, der erste ist der sehr bekannte Amre Mussa. Er war sehr viele Jahre lang Außenminister unter Husni Mubarak und wurde dann weggelobt durch denselben, weil die zwei wahrscheinlich aus politischen Gründen nicht gut miteinander konnten und er war dann viele Jahre lang der Präsident der Arabischen Liga. Desweiteren haben wir Ahmed Schafik, das ist auch einer, der nicht zu irgendwelchen Islamisten gezählt wird. Er war der letzte Ministerpräsident unter Husni Mubarak. Auch ganz interessant, die beiden haben recht intensive Verbindungen noch zu Mubarak, aber diese beiden haben nach der letzten Umfrage von Al-Ahram, die ich gestern zur Kenntnis nehmen konnte, doch die erste und zweite Position. Amre Mussa, so sagt Al-Ahram, würde 31 Prozent bekommen und Achmed Tschaufik 22 Prozent. Das sind die ersten beiden und die zwei weiteren Kandidaten, die rechnen wir sehr deutlich  zum islamisch-islamistischen Lager. Das ist zum einen Abdel Moneim Abul Futuh, ein Mann, der von sich behauptet, er sei kein Muslimbruder mehr, aber der auch immer in seinen Äußerungen doch ganz deutlich als Muslimbruder oder als Islamist oder als sehr stark religiös orientiert zu kennzeichnen ist und sodann der offizielle Kandidat der Muslimbrüder, Mohammed Mursi, der nach den Umfragen auf 14 Prozent käme, ebenso wie Abdel Futuh. Also interessant ist, dass bei den Umfragen die beiden liberaleren Kandidaten vorne stehen, aber wir haben eben auch diese große Dunkelziffer von 45 Prozent der Unentschlossenen. Wir waren damals bei den Parlamentswahlen auch sehr überrascht, was letztlich bei heraus kam.



domradio.de: Bei den Parlamentswahlen im Frühjahr haben die Islamisten klar den Sieg davon getragen, für wie wahrscheinlich halten sie es denn, dass auch der Präsident vielleicht ein Islamist wird?

Schrödel: Traue nur den Umfragen, die Du selber gefälscht hast, heißt es ja. Das Volk ist aber in der Tat nach einem guten Dreivierteljahr sehr enttäuscht von den Muslimbrüdern. Die Muslimbrüder haben vieles gebrochen, was sie versprochen hatten. Sie hatten versprochen und ja auch anfangs gesagt, sie stellen keinen Präsidentschaftskandidaten und dann haben sie doch einen gestellt und sogar zwei, wenn man das genauer sieht. Und vor allen Dingen die Muslimbrüder, die 40 Prozent der Parlamentssitze haben, bringen eine Streitkultur in das Parlament, die einfach keine ist und sie befassen sich mit Themen, die alles andere als notwendig sind und von denen man geradezu erschreckt ist, wenn man hört, dass plötzlich über schwerwiegende, aber doch im Moment nicht so wichtige Fragen gesprochen wird wie, ob jetzt Frauen verschleiert herumlaufen sollen oder ob man am Strand von Scharm El-Scheich Bikinis verbieten sollte und ähnliches. Also selbst ein guter frommer betender Muslim - die Maßgabe ist immer mein Fahrer, der ein guter Muslim ist, der wirklich viel betet - er sagt, ich bin enttäuscht von den Muslimbrüdern und ich will sie nicht mehr haben, vor allem nicht als Präsidenten. Aber ich muss noch einmal sagen, wir können überhaupt keine Voraussagen machen. Wir hoffen natürlich und das hoffen die ganzen christlichen zehn Prozent der Ägypter auch, dass einer der liberaleren Kandidaten Präsident wird und nicht etwa, dass Ägypten in eine Theokratie abrutscht.



domradio.de: Gab es denn vorab, etwa von Seiten der Kopten auch Wahlempfehlungen?

Monsignore Schrödel: Das ist eine interessante und hochwichtige Frage. Immerhin haben wir etwa zehn Prozent Christen, die meisten davon sind koptisch-orthodox. Vor 15 Monaten gab es unseren jetzt leider verstorbenen Patriarchen, der deutlich gesagt hat, "geht erst einmal nicht zur Wahl" beziehungsweise noch in der Revolutionszeit "seid nicht für die Absetzung oder für den Rücktritt von Mubarak". Das war so eine ganz schwierige Geschichte. Dann hat man sich doch ein bisschen eingeigelt. Also die orthodoxen Christen haben nicht richtig den Mut zu sagen, wir bauen mit an einer neuen Gesellschaft - freilich sie haben gute Gründe zu sagen - die Muslime, die werden uns doch letztlich kleinhalten. Wir haben eine Viertel Million Katholiken, auch wenn sie einen anderen Ritus feiern und die Bischöfe der Katholiken, allen voran Patriarch Antonius Nagib, sind sehr viel positiver den Wahlen gegenüber eingestellt und sie hoffen und rufen auch zur Mitgestaltung der neuen Gesellschaft durch die Christen auf. Das liegt wahrscheinlich daran, dass wir als katholische Gruppierung doch weltweit denken und keine Landeskirche sind.



Das Interview führte Aurelia Plieschke



Stichwort: Kopten

Zwischen 10 und 17 Millionen koptische Christen soll es weltweit geben - die Zahlen schwanken stark. In Ägypten, ihrem, Stammland, bilden sie mit zwischen sieben und zehn Millionen unter den insgesamt rund 80 Millionen Einwohnern eine große und traditionsreiche Gemeinschaft. Die Kopten - das Wort bedeutet eigentlich "Ägypter" - führen sich auf den Evangelisten Markus zurück, der das Evangelium an den Nil gebracht haben soll. Die koptische Sprache hat ihre Wurzeln im antiken Ägyptisch, wird jedoch im Alltag kaum mehr gesprochen. Von Anfang an musste sich die koptische Kirche in feindlicher Umgebung behaupten. Deshalb bezeichnet sie sich selbst auch als "Kirche der Märtyrer". Der koptische Kalender beginnt mit dem römischen Kaiser Diokletian und dessen Christenverfolgung im Jahr 284.



Nach dem Konzil von Chalkedon im Jahre 451 entfernte sich die koptische Kirche von der übrigen Christenheit. Sie betont die göttliche Dimension Christi stärker als seine menschliche Identität. Deshalb wurden die Kopten im Byzantinischen Reich als Ketzer angesehen und teilweise verfolgt. Als dann der Islam im siebten Jahrhundert Ägypten eroberte, betrachteten die Kopten die Muslime zunächst als Befreier. Dass heute noch eine so starke christliche Minderheit in Ägypten lebt, weist durchaus auf Phasen der Toleranz des Islam hin.



Allerdings hat sich das Klima zuletzt deutlich verschlechtert. Zwar enthält die ägyptische Verfassung ein Bekenntnis zu den Menschenrechten, aber zugleich wird der Koran als Hauptquelle allen Rechtes bezeichnet. Immer stärker werden die Christen an den Rand gedrängt: Ihre politische Präsenz ist deutlich zurückgegangen. Seit dem Sturz Mubaraks im Februar sollen Hunderttausende das Land verlassen haben.