Caritas-Präsident rügt Pläne für das Betreuungsgeld

"Aus unserer Perspektive sozial äußerst ungerecht"

Die Fronten beim Streit um das Betreuungsgeld im Bundestag haben sich verhärtet. Bei einer Aktuellen Stunde bekräftigten die Fraktionen von SPD, Grünen und Linkspartei am Donnerstag ihren Widerstand gegen die Einführung dieser familienpolitischen Leistung. Auch Caritas-Präsident Prälat Peter Neher erneuert im domradio.de-Interview seine Kritik.

 (DR)

domradio.de: Befürworten Sie die Einführung des Betreuungsgeldes?  --
Peter Neher: Nach dem, was uns im Moment bekannt ist - es liegt ja noch kein Referentenentwurf vor -, ist das aus unserer Perspektive sozial äußerst ungerecht. Denn die Koppelung an das Nichtbenutzen eines Krippenplatzes hat zum Beispiel zur Folge, dass eine akademisch gebildete, voll berufstätige Frau ihr Kind in die Tagespflege gibt und den vollen Satz des Betreuungsgeldes bekommt, während vielleicht eine Friseurin, die dringend auf zumindest einen Teilzeitjob angewiesen ist und dazu ihr Kind in einem Krippenplatz unterbringen muss, leer ausgehen würde. Also das ist aus sozialen Aspekten nicht akzeptabel.

domradio.de: Trotzdem vertritt zum Beispiel die CSU die Ansicht, dass nur durch das Betreuungsgeld wirklich Wahlfreiheit für die Familien geschaffen werden kann. Was sagen Sie denn dazu?--
Neher: Das stimmt insoweit nicht, dass wir mit der gesetzlichen Regelung von 2008-2013 für 30% der unter 3-Jährigen Krippenplätze bereitstellen, wohlgemerkt: nur für 30%. Es ist jetzt schon absehbar, dass wir manche Regionen in Deutschland haben werden, die dieses Ziel bis 2013 nicht erreichen werden. Also heißt dass: Wenn Eltern gar nicht die Möglichkeit haben, einen Krippenplatz zu bekommen, dann herrscht auch keine Wahlfreiheit. Und gleichzeitig wäre das wahrscheinlich mit einem ungeheuren Bürokratieaufwand verbunden, denn man müsste ja genau überprüfen, wer hat einen Krippenplatz und wer nicht. Von daher ist das Prinzip der Wahlfreiheit, das voraussetzt, dass ich wirklich wählen kann, nicht gegeben. Und da sind wir auch 2013 noch meilenweit von entfernt.

domradio.de: Ab August gibt es den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für Kinder zwischen einem und drei Jahren. Glauben Sie, dass man den Anreiz Betreuungsgeld nur schaffen will, weil die Regierung diese vielen Betreuungsplätze gar nicht gewährleisten kann? --
Neher: Der Verdacht drängt sich auf jeden Fall auf. Wenn man tatsächlich Geld in die Hand nehmen will, dann wäre es zum Beispiel wesentlich klüger, das vorhandene Elterngeld über das erste Jahr hinaus weiter zu bezahlen. Denn da hätten dann Eltern tatsächlich die Wahlfreiheit und könnten sich entscheiden, bis zu 30 Stunden pro Woche zu arbeiten, dann wäre es wirklich auch im Interesse aller und dann würde die Erziehungsleistung aller Eltern anerkannt. Von daher liegt der Verdacht nahe, dass das praktisch eine Kompensation sein soll. Das ist aus unserer Sicht aber inakzeptabel.  

domradio.de: Kritiker des Betreuungsgeldes befürchten ja auch, dass Eltern in sogenannten Problemfamilien ihre Kinder nur wegen des Geldes zuhause lassen könnten, obwohl sie im Kindergarten eigentlich besser aufgehoben wären. Teilen Sie diese Befürchtung?--
Neher: Ich möchte das nicht mit dieser Wertung sagen. Auch Eltern in prekären Lebenssituationen haben zunächst das Interesse, ihren Kindern Gutes zu tun. Aber wem kann man es verdenken, wenn er tatsächlich ein niedriges Einkommen hat und wirklich am Existenzminimum lebt, zu sagen: Diese 100 oder 150 Euro sind mir hilfreich für unser Familieneinkommen. Und das wäre natürlich hoch fatal, weil gerade solche Kinder dringend Unterstützung bräuchten und die elterliche Begleitung ergänzt werden sollte. Insofern ist das absolut kontraproduktiv. Aber nicht weil die Eltern böse sind und weil die das Geld missbrauchen, sondern weil sie aufgrund ihrer finanziellen Situation dankbar wären für diese Aufstockung des Geldes. Wobei ja genau jene, die dann finanziell in dieser Situation sind, nach den jetzigen Überlegungen ja gar kein Betreuungsgeld erhalten würden.

domradio.de: Was fordern Sie jetzt konkret von der Bundesregierung? Was muss passieren? --
Prälat Neher: Ich denke, zum einen sollte dieses geplante Betreuungsgeld in der momentan debattierten politischen Form nicht umgesetzt werden. Es ist ja schon seit einigen Jahren eine Untersuchung im Gange, wie familienpolitische Maßnahmen eingesetzt werden und was sie bewirken. Und wir erwarten hier eigentlich schon seit langem einen klaren Bericht, um zu schauen, wie wirksam sind die familienpolitischen Leistungen. Das ist das erste. Und das zweite: Wenn dann tatsächlich herauskäme, wir haben Geld und es ist notwendig, die Familien zu unterstützen, dann wäre zu schauen, wie kann man die Lücke zwischen dem ersten und dem dritten Jahr füllen. Insgesamt ist aber dringend vorrangig alles für den Ausbau für die unter 3-Jährigen bis 2013 zu tun, damit das tatsächlich erfüllt wird.



Das Interview führte Anna Kohn.



Hintergrund

Die Fronten beim Streit um das Betreuungsgeld im Bundestag haben sich verhärtet. Bei einer Aktuellen Stunde bekräftigten die Fraktionen von SPD, Grünen und Linkspartei ihren Widerstand gegen die Einführung dieser familienpolitischen Leistung.



Während der lautstarken Debatte warfen Redner der Regierungskoalition hingegen der SPD vor, allein wegen der Wahlen in Nordrhein-Westfalen das Thema erneut aufgerufen zu haben. Die Argumente seien hinlänglich bekannt, zudem liege noch gar kein Gesetzentwurf vor, beklagte etwa die FDP-Familienpolitikerin Miriam Gruß. Redner von Regierung und Opposition hielten sich gegenseitig Umfragen, Studien und Statistiken vor und kritisierten beim jeweiligen politischen Gegner ideologische Verhärtung.



Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) warf der Opposition vor, sie stelle Eltern unter Generalverdacht und diffamiere all jene, die ihre Kleinkinder zuhause erziehen wollten, als "Heimchen am Herd, die nicht fähig sind ihre Kinder zu erziehen und ihnen Bildung zu vermitteln". Auch der "Kampfbegriff der Herdprämie" sei diskriminierend. Zugleich betonte sie, dass der Kita-Ausbau für sie oberste Priorität habe. Am Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz ab 2013 sei nicht zu rütteln. Der Landesregierung in NRW hielt sie vor, noch nicht Bundesgelder für den Kita-Ausbau abgerufen zu haben.



Vor allem die CSU forderte ein Betreuungsgeld für jene Eltern, die zur Betreuung ihrer ein- bis dreijährigen Kinder keinen öffentlichen Betreuungsplatz in Anspruch nehmen. Die geplante Leistung in Höhe von 150 Euro ist aber auch innerhalb der CDU umstritten. Dies Gesamtkosten werden auf bis zu zwei Milliarden Euro im Jahr geschätzt. Die SPD-Familienpolitikerin Caren Marks (SPD) hielt der Regierung vor, sie "irrlichtere" seit Monaten bei der Frage der Ausgestaltung. Schwarz-Gelb habe sich verrannt und selber Verfassungsbedenken. Das Betreuungsgeld sei ein "absolut absurdes Projekt" und führe bildungs- und gleichstellungspolitisch in die Sackkasse. Mit den Mitteln könnten rund 170.000 Kita-Plätze geschaffen werden, so Marks.



Caritas: Ungerecht

Auch Diana Golze (Die Linke) betonte, dass Wahlfreiheit wegen fehlender Kita-Plätzte bislang nicht gegeben sei. Wenn das Betreuungsgeld die Erziehungsleistung würdigen solle, sehe sie keinen Unterschied zwischen der Erziehung in Kitas und jener durch Verwandte oder private Betreuung. Die Grünen-Familienpolitikerin Katja Dörner sprach von einer "Kita-Fernhalte-Prämie". Kita und Betreuungsgeld ließen sich nicht gleichzeitig vernünftig finanzieren.



Der CSU-Abgeordnete Norbert Geis verwies hingegen auf ähnliche Leistungen in Norwegen in Höhe von 400 Euro und Frankreich in Höhe von bis zu 750 Euro pro Monat. Die Parteikollegin Daniela Ludwig betonte, dass zwei Drittel der jungen Eltern ihre ein- bis zweijährigen Kinder nicht außerhäusig betreuen lassen wollten. Ihnen solle das Betreuungsgeld helfen. Die FPD-Politikerin Sibylle Laurischk (FDP) stellte hingegen grundsätzlich infrage, ob der Bund überhaupt für das Betreuungsgeld zuständig ist. Dies wolle auch Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FPD) prüfen.



Kritik kam auch von Sozialverbänden. Der Deutsche Caritasverband lehnte die aktuellen Pläne zur Einführung eines Betreuungsgeldes ab. "Ein Betreuungsgeld, das nur bezahlt wird, wenn auf öffentliche Kinderbetreuung verzichtet wird, ist ungerecht und unterstützt die Wahlfreiheit von Eltern nicht", sagte Caritas-Präsident Peter Neher. Es benachteilige etwa Mütter, die aus finanziellen Gründen gezwungen seien, zumindest einer Teilzeitbeschäftigung nachzugehen. Die Arbeiterwohlfahr (AWO) forderte grundsätzlich einen Stopp des Betreuungsgeldes. Der Bundesrat will am Freitag über einen Entschließungsantrag des Landes Baden-Württemberg mit dem Titel "Betreuungsgeld stoppen, Bundesmittel zum Ausbau der Kleinkindbetreuung aufstocken" entscheiden.