missio-Experte zur Lage der Christen im arabischen Raum

"Probleme von damals sind dieselben wie heute"

Wie steht es um die Lage der Minderheiten im arabischen Raum? Darüber informiert sich heute der Menschenrechtsausschuss des Bundestages in einer Anhörung. Einer der Gastexperten ist Dr. Otmar Oehring vom Internationalen Katholischen Missionswerk Missio. Im domradio.de-Interview verrät er, was er den Abgeordneten ans Herz legen möchte.

 (DR)

domradio.de: Drei Stunden werden heute Experten wie Sie bei der Anhörung sprechen - wie wichtig ist es, dass sich der Deutsche Bundestag durch diesen Ausschuss mit der Lage der Christen im arabischen Raum beschäftigt?--
Dr. Otmar Oehring: Grundsätzlich ist es natürlich wichtig - das hätte auch schon viel früher passieren können, in den Zeiten, als die "guten" Diktatoren noch an der Macht waren -, denn die Probleme von damals sind dieselben wie heute.

domradio.de: Auch wenn in Ägypten und Syrien brutale Machthaber geherrscht haben oder noch herrschen - immer wieder heißt es, Minderheiten wie die Christen wären unter ihrem Schutz sicherer gewesen als jetzt - stimmt dieser Eindruck?--
Oehring: Das stimmt und stimmt nicht. Faktisch hat es natürlich genauso viele Anschlagsversuche gegeben wie heute, genauso viele Übergriffe wie heute, der Unterschied ist nur der, dass es im Ägypten von Husni Mubarak eine funktionierende Polizei gegeben hat, einen funktionierenden Sicherheitsapparat, der das in den meisten Fällen verhindern konnte. Das gleiche gilt für Syrien, einen absoluten Polizeistaat, da ist es nicht verwunderlich, dass die Christen und auch andere Minderheiten in Ruhe leben konnten. In dem Moment, wo es Freiheit gibt, wo die Polizei, insbesondere die Geheimpolizei, in ihre Schranken verwiesen wird und nicht mehr auf den Plan tritt, kommt es natürlich zu Übergriffen, die es vorher nicht gegeben hat, und dann wundern sich alle, dass es so ist.

domradio.de: Die Gefahr, dass Islamisten im Nahen Osten und in Nordafrika die Macht übernehmen, wird immer wieder beschworen - wie stark sind diese Kräfte tatsächlich?--
Oehring: Das wird sich zeigen. In Ägypten kann man es schon an der Zahl der Sitze im Parlament erkennen, die die Moslembruderschaft und die Salafisten auf sich vereinen konnten. Das sind ungefähr 70% der Sitze, das ist eine gewaltige Zahl und das schürt natürlich die Angst, dass es den Christen in Zukunft noch schlechter gehen wird. Ich denke aber, dass insbesondere die Moslembruderschaft, die große Gewinnerin der Wahlen mit ca. 50% der Sitze im Parlament, erst einmal zeigen muss, dass sie überhaupt regieren kann, dass sie in der Lage ist, einen Staat zu führen, und dass sie die Probleme des Landes lösen kann, und das sind vor allem wirtschaftliche Probleme, die alle Menschen gleichermaßen betreffen.

domradio.de: Der Arabische Frühling hat ganz unterschiedliche Länder erfasst, in Syrien kämpft noch die Opposition gegen das Regime, in Libyen und Ägypten sind die Machthaber weggefegt worden - kann man zum jetzigen Zeit schon absehen, dass der arabische Raum irgendwann politisch wieder stabiler wird?--
Oehring: Nein, das wäre vermessen, das kann niemand, denke ich. Das muss sich erst einmal alles setzen, die Situation in den verschiedenen Ländern ist auch zu unterschiedlich. Libyen ist zum Beispiel eine reine Stammesgesellschaft, da kämpfen jetzt die Stämme um die Vormachtstellung. In Jordanien, wo der Arabische Frühling Anfang letzten Jahres nur kurz aufgeflammt ist, ist mit ähnlichen Verhältnissen zu rechnen. Die Staaten, auf die wir uns jetzt vielleicht mit dem Blick konzentrieren müssen, sind tatsächlich Ägypten und dann auch Syrien. Da ist zu befürchten, dass es eine endgültige Machtübernahme der Islamisten, der Moslembruderschaft und auch anderer Gruppen für geraume Zeit geben kann. Allerdings, wie ich schon gesagt habe, müssen die erst noch beweisen, dass sie es können, und in Ägypten sieht man zum Beispiel bereits ganz deutlich, dass mehr und mehr Menschen das eigentlich nicht glauben. Wir werden also wahrscheinlich noch viele revolutionäre Umbrüche in den nächsten Jahren in diesen Ländern erleben, bis es dann irgendwann vielleicht tatsächlich zu einer Stabilisierung kommt.  

domradio.de: Die Veranstaltung des Menschenrechtsausschusses heute wird sogar auf der Internetseite des Bundestages live übertragen - erwarten Sie konkrete Schritte der Politik nach der Anhörung? --
Oehring: Das kommt darauf an, was bei der Anhörung herauskommt. Ich denke, dass die Erwartungen der verschiedenen Abgeordneten der verschiedenen Fraktionen unterschiedlich sind. Ich kann mir vorstellen, dass manch einer vielleicht tatsächlich erwartet, dass es eine Zunahme von Übergriffen auf die christlichen Minderheiten gibt und gegeben hat, so dass man vielleicht sogar von Christenverfolgung reden kann. Ich denke, andere sehen das auch anders. Ich glaube, dass es bei dieser Anhörung einfach wichtig ist klarzustellen, was die eigentlichen Probleme im Land sind und dass natürlich trotz allem die Minderheiten nur Minderheiten sind und die wesentlichen Probleme natürlich Probleme aller Menschen in diesen Ländern sind und nicht nur Probleme der Minderheiten.

Hintergrund

"Christen und andere Minderheiten im Nahen Osten und in Nordafrika" lautet das Thema einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe mit sechs Sachverständigen. Die Sitzung unter Vorsitz von Tom Koenigs (Bündnis 90/Die Grünen) beginnt um heute 16 Uhr. Unter den geladenen Sachverständigen sind auch Dr. Otmar Oehring vom Internationalen Katholischen Missionswerk Missio und Dr. Maria Haarmann, Regionalreferentin Nordafrika/Nahost bei MISEREOR.