Das Schreiben des Papstes an die Bischöfe in Auszügen

Zurück zu den Worten Jesu

Benedikt XVI. hat die deutschen Bischöfe aufgefordert, die Katholiken auf eine Rückkehr zu den Einsetzungsworten Jesu bei der Heiligen Messe vorzubereiten. In einem Brief am Dienstag veröffentlichten Brief legt der Papst fest, dass künftig auch in Deutschland die Priester bei den Einsetzungsworten am Altar sagen sollen: "mein Blut, das für Euch und für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden".

 (DR)

Zur Begründung heißt es, die Kirche dürfe die in der Bibel überlieferten Originalworte Jesu nicht interpretierend übersetzen, sondern müsse sich an den Wortlaut halten. Zugleich erinnert Benedikt XVI. daran, dass es bereits 2006 eine entsprechende vatikanische Anweisung an alle Bischöfe der Weltkirche gegeben habe. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) dokumentiert das auf Deutsch verfasste Schreiben des Papstes in Auszügen und in neuer

Rechtschreibung:



Seiner Exzellenz dem Hochwürdigsten Herrn Dr. Robert Zollitsch



(...) Exzellenz! Sehr geehrter, lieber Herr Erzbischof!



Bei Ihrem Besuch am 15. März 2012 haben Sie mich wissen lassen, dass bezüglich der Übersetzung der Worte "pro multis" in den Kanongebeten der Heiligen Messe nach wie vor keine Einigkeit unter den Bischöfen des deutschen Sprachraums besteht. Es droht anscheinend die Gefahr, dass bei der bald zu erwartenden Veröffentlichung der neuen Ausgabe des "Gotteslobs" einige Teile des deutschen Sprachraums bei der Übersetzung "für alle" bleiben wollen, auch wenn die Deutsche Bischofskonferenz sich einig wäre, "für viele" zu schreiben, wie es vom Heiligen Stuhl gewünscht wird. Ich habe Ihnen versprochen, mich schriftlich zu dieser schwerwiegenden Frage zu äußern, um einer solchen Spaltung im innersten Raum unseres Betens zuvorzukommen. Den Brief, den ich hiermit durch Sie den Mitgliedern der Deutschen Bischofskonferenz schreibe, werde ich auch den übrigen Bischöfen des deutschen Sprachraums zusenden lassen.



Lassen Sie mich zunächst kurz ein Wort über die Entstehung des Problems sagen. In den 60er Jahren, als das Römische Missale unter der Verantwortung der Bischöfe in die deutsche Sprache zu übertragen war, bestand ein exegetischer Konsens darüber, dass das Wort "die vielen", "viele" in Jes 53,11f eine hebräische Ausdrucksform sei, um die Gesamtheit, "alle" zu benennen. Das Wort "viele" in den Einsetzungsberichten von Matthäus und Markus sei demgemäß ein Semitismus und müsse mit "alle" übersetzt werden. Dies bezog man auch auf den unmittelbar zu übersetzenden lateinischen Text, dessen "pro multis" über die Evangelienberichte auf Jes 53 zurückverweise und daher mit "für alle" zu übersetzen sei.



Dieser exegetische Konsens ist inzwischen zerbröckelt; er besteht nicht mehr. In der deutschen Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift steht im Abendmahlsbericht: "Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird" (Mk 14, 24: vgl. Mt 26, 28). Damit wird etwas sehr Wichtiges sichtbar: Die Wiedergabe von "pro multis" mit "für alle" war keine reine Übersetzung, sondern eine Interpretation, die sehr wohl begründet war und bleibt, aber doch schon Auslegung und mehr als Übersetzung ist.



Diese Verschmelzung von Übersetzung und Auslegung gehört in gewisser Hinsicht zu den Prinzipien, die unmittelbar nach dem Konzil die Übersetzung der liturgischen Bücher in die modernen Sprachen leitete. (...) So fühlte man sich nicht nur berechtigt, sondern geradezu verpflichtet, in die Übersetzung schon Interpretation einzuschmelzen und damit den Weg zu den Menschen abzukürzen, deren Herz und Verstand ja von diesen Worten erreicht werden sollten.



(...) Da ich die liturgischen Gebete immer wieder in verschiedenen Sprachen beten muss, fällt mir auf, dass zwischen den verschiedenen Übersetzungen manchmal kaum eine Gemeinsamkeit zu finden ist und dass der zugrundeliegende gemeinsame Text oft nur noch von weitem erkennbar bleibt. Dabei sind dann Banalisierungen unterlaufen, die wirkliche Verluste bedeuten. So ist mir im Lauf der Jahre immer mehr auch persönlich deutlich geworden, dass das Prinzip der nicht wörtlichen, sondern strukturellen Entsprechung als Übersetzungsleitlinie seine Grenzen hat.



Solchen Einsichten folgend hat die von der Gottesdienst-Kongregation am 28.3.2001 erlassene Übersetzer-Instruktion Liturgiam authenticam wieder das Prinzip der wörtlichen Entsprechung in den Vordergrund gerückt, ohne natürlich einen einseitigen Verbalismus vorzuschreiben. (...) Auch die einfühlsamste Übersetzung kann die Auslegung nicht ersetzen (...).



In diesem Zusammenhang ist vom Heiligen Stuhl entschieden worden, dass bei der neuen Übersetzung des Missale das Wort "pro multis" als solches übersetzt und nicht zugleich schon ausgelegt werden müsse. An die Stelle der interpretativen Auslegung "für alle" muss die einfache Übertragung "für viele" treten. Ich darf dabei darauf hinweisen, dass sowohl bei Matthäus wie bei Markus kein Artikel steht, also nicht "für die vielen", sondern "für viele".



Wenn diese Entscheidung von der grundsätzlichen Zuordnung von Übersetzung und Auslegung her, wie ich hoffe, durchaus verständlich ist, so bin ich mir doch bewusst, dass sie eine ungeheure Herausforderung an alle bedeutet, denen die Auslegung des Gotteswortes in der Kirche aufgetragen ist. Denn für den normalen Besucher des Gottesdienstes erscheint dies fast unvermeidlich als Bruch mitten im Zentrum des Heiligen. Sie werden fragen: Ist nun Christus nicht für alle gestorben? Hat die Kirche ihre Lehre verändert? Kann und darf sie das? Ist hier eine Reaktion am Werk, die das Erbe des Konzils zerstören will? Wir wissen alle durch die Erfahrung der letzten 50 Jahre, wie tief die Veränderung liturgischer Formen und Texte die Menschen in die Seele trifft; wie sehr muss da eine Veränderung des Textes an einem so zentralen Punkt die Menschen beunruhigen.



Weil es so ist, wurde damals, als gemäß der Differenz zwischen Übersetzung und Auslegung für die Übersetzung "viele" entschieden wurde, zugleich festgelegt, dass dieser Übersetzung in den einzelnen Sprachräumen eine gründliche Katechese vorangehen müsse, in der die Bischöfe ihren Priestern wie durch sie ihren Gläubigen konkret verständlich machen müssten, worum es geht. Das Vorausgehen der Katechese ist die Grundbedingung für das Inkrafttreten der Neuübersetzung. Soviel ich weiß, ist eine solche Katechese bisher im deutschen Sprachraum nicht erfolgt. Die Absicht meines Briefes ist es, Euch alle, liebe Mitbrüder, dringendst darum zu bitten, eine solche Katechese jetzt zu erarbeiten, um sie dann mit den Priestern zu besprechen und zugleich den Gläubigen zugänglich zu machen.



In einer solchen Katechese muss wohl zuerst ganz kurz geklärt werden, warum man bei der Übersetzung des Missale nach dem Konzil das Wort "viele" mit "alle" wiedergegeben hat: um in dem von Jesus gewollten Sinn die Universalität des von ihm kommenden Heils unmissverständlich auszudrücken. Dann ergibt sich freilich sofort die Frage: Wenn Jesus für alle gestorben ist, warum hat er dann in den Abendmahlsworten "für viele" gesagt? Und warum bleiben wir dann bei diesen Einsetzungsworten Jesu? Hier muss zunächst noch eingefügt werden, dass Jesus nach Matthäus und Markus "für viele", nach Lukas und Paulus aber "für euch" gesagt hat. Damit ist scheinbar der Kreis noch enger gezogen.



Aber gerade von da aus kann man auch auf die Lösung zugehen. Die Jünger wissen, dass die Sendung Jesu über sie und ihren Kreis hinausreicht (...). Das "für euch" macht die Sendung Jesu aber ganz konkret für die Anwesenden. Sie sind nicht irgendwelche anonyme Elemente einer riesigen Ganzheit, sondern jeder einzelne weiß, dass der Herr gerade für mich, für uns gestorben ist. (...)



Wie der Herr die anderen - "alle" - auf seine Weise erreicht, bleibt letztlich sein Geheimnis. Aber ohne Zweifel ist es eine Verantwortung, von ihm direkt an seinen Tisch gerufen zu sein, so dass ich hören darf: Für euch, für mich hat er gelitten. Die vielen tragen Verantwortung für alle. (...) Dies ist eine Berufung, die jeden einzelnen ganz persönlich trifft. Die vielen, die wir sind, müssen in der Verantwortung für das Ganze im Bewusstsein ihrer Sendung stehen.



(...)



Exzellenz, liebe Mitbrüder im Bischofsamt! Mit alledem wollte ich die inhaltlichen Grundlinien der Katechese andeuten, mit der nun so bald wie möglich Priester und Laien auf die neue Übersetzung vorbereitet werden sollen. Ich hoffe, dass dies alles zugleich einer tieferen Mitfeier der heiligen Eucharistie dienen kann und sich so in die große Aufgabe einreiht, die mit dem "Jahr des Glaubens" vor uns liegt. Ich darf hoffen, dass die Katechese bald vorgelegt und so Teil der gottesdienstlichen Erneuerung wird, um die sich das Konzil von seiner ersten Sitzungsperiode an gemüht hat.



Mit österlichen Segensgrüßen verbleibe ich im Herrn Ihr



Benedictus PP XVI.



Vatikanstadt 14.4.2012