Ethikrat-Mitglied Weihbischof Losinger zur Problematik künstlicher Befruchtung

Erstes "Retortenbaby" wird 30

Seit 30 Jahren gibt es in Deutschland die künstliche Befruchtung. Die In-Vitro-Fertilisation wurde zum Einstiegstor in eine ganz neue Medizin. Das Ethikrat-Mitglied Weihbischof Anton Losinger warnt im domradio.de-Interview vor den Folgen immer neuer medizinischer Möglichkeiten, gerade im Hinblick auf die Gendiagnostik.

Autor/in:
Christoph Arens
Der Augsburger Weihbischof Anton Losinger (KNA)
Der Augsburger Weihbischof Anton Losinger / ( KNA )

domradio.de: Was spricht grundsätzlich erst einmal gegen eine künstliche Befruchtung?

Weihbischof Dr. Anton Losinger: Theoretisch muss man sich über jedes einzelne Wunschkind freuen, das auf die Welt kommt, vor allem dort, wo Eltern in einer Lage sind, dass sie auf natürlichem Wege kein Kind gekommen könnten. Aber die Kehrseite der Medaille ist klar: Hier wurde eine medizinische Methode in die Welt gesetzt, die bedeutende Probleme aufwirft.

Ein erstes Problem ist auf medizinischer Ebene: Was müssen eine Frau und ein Mann alles an Belastungen auf sich nehmen: Hormonbehandlungen, Samenbehandlung, gynäkologische Eingriffe. Dabei ist bei aller Hoffnung, die geweckt wird, natürlich eine nüchterne Zahl im Hintergrund: Der Erfolg künstlicher Befruchtung liegt bei 20 Prozent! Vier von fünf Frauen verlassen also eine solche medizinische Behandlung, ohne dass sie ein Kind mit nach Hause bringen.

Aber bedeutend problematischer bewerten wir aber aus der Perspektive der medizinischen Ethik das Problem der In-Vitro-Fertilisation, also der künstlichen Befruchtung an dem Punkt, wo Embryonen künstlich erzeugt werden. Wie wir alle wissen, werden außer den Embryonen, die dann in den Mutterleib eingepflanzt werden, immer sogenannte überzählige Embryonen übrig bleiben. Wenn man der Meinung ist, und dieser sind wir als katholische Kirche ganz heftig, dass jeder menschliche Embryo ein embryonaler Mensch mit Lebensrecht und Würde ist, dann ist das Schicksal dieser sogenannten überzähligen Embryonen, die verworfen werden, eine heftige Kritik an dieser Methode.



domradio.de: Reproduktionsmediziner fordern eine Gesetzesänderung, um den "besten" Embryo in der Petrischale auswählen und der Mutter einpflanzen zu dürfen.

Weihbischof Dr. Anton Losinger: Damit sind wir genau beim Problem der Debatte um die PID, also die Pre-Implantations-Diagnostik. Es ist klar, dass dort, wo Embryonen In-Vitro, also außerhalb des Mutterleibs erzeugt werden, sie auch einem genetischen Test unterzogen werden. Und dort wo PID stattfindet, werden Embryonen. die etwa einem genetischen Defekt aufweisen, verworfen. Für uns muss natürlich die ethische Frage entstehen, welches Menschenbild des behinderten Menschen werden wir erzeugen, wenn wir sagen, ein genetischer Defekt an einem menschlichen Embryo kann ein Grund seiner Verwerfung sein.



domradio.de: Noch in diesem Quartal will eine Konstanzer Firma einen Test auf den Markt bringen, der zu 100 Prozent im Blut der Mutter nachweisen soll, ob das Ungeborene das Down-Syndrom hat oder nicht. Was halten Sie von solchen Tests?

Weihbischof Dr. Anton Losinger: Der deutsche Ethikrat arbeitet derzeit an einem Gutachten für die Bundesregierung zum Thema "Die Zukunft der Gendiagnostik". Dabei ist der sogenannte Bluttest auf Trisomie21 nur der Anfang. Wenn einmal sämtliche Chromosomen mit moderner Technik durchzuforsten sind, dann kann das für die Möglichkeit des Überlebens von Embryonen mit Gendefekten äußerst verheerende Folgen haben.



domradio.de: Was sagen Sie denn den Eltern der 160.000 Kinder, die in diesen 30 Jahren auf die Welt gekommen sind durch künstliche Befruchtung?

Weihbischof Dr. Anton Losinger: Ich muss sagen, jedes einzelne Kind ist ein Grund zur Freude! Aber wo immer medizinische und gentechnische Methoden angewandt werden, muss die Kehrseite der Medaille gesehen werden. Und wenn ich eine Empfehlung an die Gesellschaft und an die Wirtschaft geben darf: Wir stellen ja fest, dass die Geburt des ersten Kindes im Leben einer Frau im Schnitt im dreißigsten Lebensjahr stattfindet. Gleichzeitig geht auf die 30 zu die Fruchtbarkeitsquote im Leben einer Frau schon sehr deutlich zurück. Was wäre, wenn unsere Gesellschaft und auch die Wirtschaft, Frauen die Möglichkeit eröffnen würde, Kinder auch dann zu bekommen, wenn die Natur es auch vorsieht. Dann wären all die Probleme zu einem gewissen Prozentansatz schon nicht da, die mit einer verspäteten Geburt im Leben einer Frau entstehen.



domradio.de: Was kann die Politik da tun?

Weihbischof Dr. Anton Losinger: Wenn z.B. heutzutage an den Universitäten Frauen studieren, dann soll einer Studentin und kein Nachteil entstehen, wenn sie während des Studiums ein Kind bekommt. Und Frauen, die sich zu Hause um ihr Kind und ihre Familie kümmern müssen, brauchen natürlich flexible Arbeitsmarktsituationen. Wir brauchen flexible Arbeitszeiten und Teilzeitangebote. Und wir brauchen nicht zuletzt, was die Sozialpolitik angeht, eine gezielte auf das Kind hin orientierte Förderung.



domradio.de: Welche Rolle spielen die Väter?

Weihbischof Dr. Anton Losinger: Ich sehe in meinem eigenen persönlichen Umfeld eine ganze Reihe von Phänomenen des Umdenkens. Ich sehe junge Familien, wo die Väter sich äußerst intensiv und liebevoll um die Kinder kümmern und wo so etwas wie Jobsharing auf der Ebene der Erziehung und des sich Kümmerns um die Kinder möglich ist. Ich würde sagen, an diesem Punkt heißt es: Weiter gehen!



Das Interview führte Monika Weiß.



Hintergrund

Heute ist es schon Routine, doch vor 30 Jahren war es eine Sensation: Am 16. April 1982 kam Oliver zur Welt. Mit dabei das ZDF-Gesundheitsmagazin und die Zeitschrift "Quick", die die Print-Exklusivrechte an der Geburt gekauft hatte. Oliver war das erste Retortenbaby Deutschlands, geboren in der Frauenklinik Erlangen. Dort war die damals revolutionäre Technik der Reagenzglasbefruchtung (IVF) bereits seit den 60er Jahren im Tierversuch getestet worden.



Allerdings war Deutschland auf diesem Gebiet keineswegs führend: Bereits am 25. Juli 1978 erblickte in England Louise Joy Brown das Licht der Welt, das weltweit erste Retortenbaby. Ihr wissenschaftlicher Ziehvater Robert Edwards hatte zuvor an Mäusen studiert, wie sich befruchtungsreife Eier gewinnen und im Reagenzglas befruchten ließen. Zehn Jahre dauerte es, das Verfahren auf den Menschen zu übertragen. Dann ließ sich diese Revolution trotz heftiger Proteste von Kirchen und Teilen der Wissenschaft nicht mehr stoppen.



Seitdem sind die künstliche Zeugung und die anschließende Einpflanzung in den Mutterleib weltweit nach Schätzungen vier Millionen Mal erfolgreich vollzogen worden. Die Techniken wurden verfeinert. In Deutschland kommen mittlerweile rund drei Prozent der Kinder durch In-Vitro-Fertilisation zur Welt. Seit 1982 sind es 160.000.



Und die bundesweit 124 Behandlungszentren verzeichnen steigende Nachfrage: Der technische Fortschritt ermöglicht immer spätere Schwangerschaften. Rund 1,5 Millionen Menschen in Deutschland, die in einer Partnerschaft leben, seien aus medizinischen Gründen ohne Kinder, besagen Schätzungen. Jährlich suchten an die 800.000 Paare ärztlichen Rat.



Revolution mit Doppelgesicht

Trotzdem: Die medizinische Revolution trägt ein Doppelgesicht. Fest steht, dass die In-Vitro-Fertilisation das Einstiegstor in eine ganz neue Medizin geworden ist. Seitdem stehen Fragen zum Rechtsstatus des Embryos im Raum: Besitzt der künstlich gezeugte Embryo die gleiche Würde wie andere? Was geschieht mit überzähligen und kranken Embryonen? Begriffe wie Leihmutterschaft, Genmanipulation, Embryonenforschung, Eugenik und Menschenzüchtung sind fester Bestandteil der Debatte geworden.



Auch praktische Probleme ergeben sich: Für viele unfruchtbare Männer und Frauen wurde der Weg frei zu einem ganz normalen Familienleben. Kritiker dagegen warnen vor einem höheren Missbildungsrisiko und verweisen auf die Belastungen für beteiligte Paare. Die Erfolgsrate, ein Kind auszutragen, liegt bei 20 bis 40 Prozent. Trotz allen Know-hows lässt sich die Natur nur widerstrebend ins Handwerk pfuschen.



Weithin unterschätzt werden die hohe körperliche und psychologische Belastung und das gesundheitliche Risiko für die beteiligten Paare. Einer Untersuchung der Uni Bochum vom vergangenen Jahr zufolge werden Paare mit unerfülltem Kinderwunsch oft nicht ausreichend über negative Aspekte der Behandlung aufgeklärt. Nach Angaben der Experten ist die Fähigkeit der Patienten häufig eingeschränkt, über das Ende einer Behandlung mit geringer Erfolgsaussicht zu entscheiden. Die Ärzte würden ihrerseits die Behandlung meist nicht beenden.



Wer übernimmt die Kosten

Umstritten ist auch, wer die Kosten für eine Behandlung übernimmt. Seit 2004 finanzieren die gesetzlichen Krankenkassen nur noch für maximal drei IVF-Versuche die Hälfte der Kosten. Die andere Hälfte müssen die Betroffenen selbst übernehmen. Damit sank die Zahl der künstlichen Befruchtungen um rund die Hälfte. Mit rund 76.000 Versuchen hat sie aber 2010 wieder knapp das Niveau von 2001 erreicht.



Familienministerin Kristina Schröder (CDU) macht derweil Druck, um ungewollt kinderlose Paare bei einer Behandlung finanziell stärker zu unterstützen. Die Kosten betragen im Schnitt 3.200 Euro pro Behandlungszyklus. Nach den Vorstellungen der Ministerin sollen die Länder 25 Prozent der Kosten übernehmen, von denen sie sich dann die Hälfte vom Bund erstatten lassen können. Paare würden dann 25 Prozent der ersten drei Versuche selbst tragen müssen. Sachsen und Sachsen-Anhalt bezuschussen die Behandlungen bereits.