Kardinal Meisner: Unterscheiden zwischen kirchlichen Amtsträgern und Bürgern

Wer in der DDR war ein "Bürgerrechtler"?

Nun ist Joachim Gauck offiziell Bundespräsident. Vor allem sein Einsatz für die Bürgerrechte zu DDR-Zeiten wurde zuletzt immer wieder hervorgehoben – und diskutiert: Kann man kirchliche Amtsträger als "Bürgerrechtler" bezeichnen? Nein, meint Kardinal Meisner. Der ehemalige Ost-Berliner und heutige Kölner Erzbischof im domradio.de-Interview.

Erzbischof Joachim Kardinal Meisner / © Boecker
Erzbischof Joachim Kardinal Meisner / © Boecker

domradio.de: Herr Kardinal - kann man Amtsträger der beiden großen Kirchen überhaupt als "Bürgerrechtler" bezeichnen?

Kardinal Meisner: Amtsträger innerhalb der beiden großen Kirchen sollen nicht als "Bürgerrechtler" bezeichnet werden. Dagegen sind außerhalb der Kirche Bürger, die sich für die Menschenrechte in der DDR eingesetzt haben, als Bürgerrechtler zu definieren.



domradio.de: Warum machen Sie hier einen Unterschied - zwischen Amtsträgern der Kirche und allen anderen?

Meisner: Die DDR war ein ideologisch begründeter totalitärer Staat. Schulen, Universitäten, Fabriken - alles war in der Hand des Staates und damit in der Hand der ihn dirigierenden Partei, mit Ausnahme ganz weniger Privatbetriebe. Der Staat war der eigentliche Arbeitgeber der Bevölkerung. Nur eine Ausnahme machten die Kirchen, sie waren relativ autonom und unabhängig.

Wenn ein Angestellter, Gelehrter oder Arbeiter - wer auch immer als staatlicher Angestellter galt - für die Bürgerrechte eintrat, setzte er sofort seine Arbeitsstelle aufs Spiel - und damit seine Existenzgrundlagen und die seiner Familie. Dafür gibt es viele Beispiele.



domradio.de: Und wie war das damals in der DDR bei den Kirchen?

Meisner: Bei der Kirche als autonomes Gebilde innerhalb dieses totalitären Staates verlor kein Amtsträger seine Arbeitsstelle und seinen Lebensunterhalt, wenn er im Sinne der Menschenrechte arbeitete. Er wurde natürlich bespitzelt und beobachtet, aber er blieb als ein Angestellter der Kirche in ihrem Schutz. Sie sicherte seine Existenz und die seiner Familie. Nicht nur die ökonomischen Grundlagen waren für einen kirchlichen Amtsträger bei seinem Einsatz für die Menschenrechte gesichert, sondern die Kirche trat auch mit ihrem Einfluss als Schutzschild für solche Amtsträger ein, wenn sie mit dem Staat in Konflikt kamen. Es ist mir nicht bekannt, dass in den letzten 20 Jahren des DDR-Regimes ein katholischer oder evangelischer Amtsträger verhaftet worden wäre.



domradio.de: Was sollte Ihrer Ansicht nach bei der Diskussion um den kirchlichen Widerstand und die Frage der "Bürgerrechtler" demnach behandelt werden?

Meisner: Aus dem eben Geschilderten sollte man nur diejenigen "Bürgerrechtler" nennen, die auch mit ihrem Eintritt für die Menschenrechte ihre bürgerliche Existenz aufs Spiel setzten. Den Übrigen aus dem Raum der Kirche sollte man sehr dankbar sein, dass sie die ihnen von der Kirche eingeräumten Möglichkeiten zugunsten der Menschenrechte genutzt haben.



Das Gespräch führte domradio.de-Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen.