Göttinger Menschenrechtler führen internen "Bürgerkrieg"

Schlammschlachten bei der "Gesellschaft für bedrohte Völker"

Es geht um Abwahl und Kündigung, um Abschiebungen und angebliche Unterschlagungen. Vorstand und Generalsekretär überhäufen sich gegenseitig mit Vorwürfen und ziehen vor Gericht.

Autor/in:
Charlotte Morgenthal
 (DR)

Ein erbitterter Streit tobt zurzeit in der "Gesellschaft für bedrohte Völker" in Göttingen. "Ein Drittel unserer Arbeitszeit verbringen wir gerade mit einer Art internem Bürgerkrieg", sagt der Begründer und Generalsekretär der Menschenrechtsorganisation, Tilman Zülch, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auf der einen Seite ermittelt die Staatsanwaltschaft Göttingen gegen Zülch. Angezeigt hat ihn der Bundesvorsitzende seines Vereins, Harald Klein, wegen angeblicher Veruntreuung von Gehältern. Klein wiederum soll in den 90er Jahren für die Abschiebung mehrerer Tausend Flüchtlinge verantwortlich gewesen sein, was für Empörung sorgt.



Zülch und die anderen Mitarbeiter erfuhren nach eigenen Angaben von Kleins Vorgeschichte erst nach seiner Wahl zum Vorsitzenden 2010. Der derzeitige Freiburger Rechtsanwalt Klein war von 1995 bis 1998 in Chemnitz zuständig für die zentrale Ausländerbehörde des sächsischen Innenministeriums. Nach Angaben des Ministeriums wurden in diesen Jahren 6.898 Flüchtlinge abgeschoben. Darunter waren nach Informationen der Menschenrechtsorganisation auch zahlreiche bosnische Flüchtlinge, für die sie sich einsetzte.



Klein habe in seiner Antrittsrede zwar erklärt, dass Hunderte von Einzelschicksalen über seinen Schreibtisch gegangen seien, sagen Mitarbeiter, die anonym bleiben wollen. Doch er habe immer angedeutet, dass er sich für ein Bleiberecht der Betroffenen eingesetzt habe. Als sie merkten, dass er für die Abschiebungen mit zuständig war, hätten sie ihn dringend zum Rücktritt aufgefordert, betonen Zülchs Kollegen.



"Für mich persönlich war das schrecklich", schildert Zülch die Situation, als er erfuhr, wen die von ihm begründete Organisation in den Vorstand gewählt hatte. In mehreren Sitzungen habe er Klein darauf angesprochen. Jedes Mal sei er von ihm "niedergeschrieen" worden. Klein war auf mehrfache Anfrage des epd für eine Stellungnahme nicht erreichbar.



Kommunikation nur über Anwälte

Seit vergangenen Sommer kommunizieren Klein und sein Stellvertreter, der pensionierte Lehrer James Albert, nur über ihre Anwälte mit der Gesellschaft. Termine ließen sie platzen, Vorstandssitzungen fanden monatelang nicht statt. Beide hätten mit ihren persönlichen Auseinandersetzungen die Arbeit "in unerträglichem Maße erschwert", erklärt die Belegschaft.



Auf ihrer Jahreshauptversammlung im vergangenen November wählten die Mitarbeiter schließlich Klein und Albert einstimmig mit 107 Stimmen aus dem Vorstand heraus. Rechtlich anerkannt ist diese Entscheidung aus formalen Gründen bisher aber nicht. Seitdem herrscht im Vorstand mit zwei neu gewählten Vorsitzenden eine Patt-Situation. Anwälte werden von beiden Seiten im Namen der Gesellschaft beauftragt.



Klein und Albert gehen dabei offenbar auch gegen Ehrenmitglieder und Ehrenamtliche vor. "Die Situation ist grotesk", sagt Zülch. Die Gesellschaft mit einem Jahreshaushalt von 1,4 Millionen Euro kann noch nicht abschätzen, wie hoch die Rechtskosten sein werden. "Uns anvertraute Spendengelder sollen ausschließlich in unsere Menschenrechtsarbeit fließen", verlangen die Mitarbeiter.



Nach ihrer Abwahl zeigten Klein und Albert im Namen der Gesellschaft Generalsekretär Zülch an. Er habe zwei Jahresgehälter von 70.000 Euro zu Unrecht bezogen. Zudem habe er eine Überweisung in Höhe von 60.000 Euro nach Bosnien nicht gegenzeichnen lassen. Klein und Albert sprachen gegen den 72-jährigen Zülch eine außerordentliche Kündigung aus. Die Belegschaft bezeichnet dies als "zerstörerischen Racheakt".



Zülch hat Kündigungsschutzklage erhoben. Die Gehälter seien rechtmäßig für seine hauptamtliche Arbeit als Generalsekretär gezahlt worden, sagt er. Zudem prüfen nach seinen Worten zwei Wirtschaftsprüfer unabhängig voneinander jede Spendenbuchung. Beide Verfahren sollen im Mai verhandelt werden. Der Direktor des Arbeitsgerichts, Achim Schlesier, rechnet damit, dass ein rechtlich unangefochtener Vorstand die Anklagen bis dahin auch zurückziehen

kann: "Das Problem des Arbeitgebers ist, dass er momentan in sich zerstritten ist."



Aufgrund der inhaltlichen Arbeit habe die Hilfsorganisation ihre juristische Struktur oft vernachlässigt, räumt Zülch ein. Dies soll sich in Zukunft ändern. Schließlich hat sich die Gesellschaft zum Ziel gesetzt, weltweit ethnische und religiöse Minderheiten zu schützen und "auf keinem Auge blind zu sein". Auch nicht bei der Auswahl ihres Personals.