Rede zur Entweltlichung der Kirche

Experten analysieren den Papst

Seit dem Papstbesuch wird in Deutschland die Forderung des Papstes nach einer Entweltlichung der Kirche diskutiert. 20 Aufsätze zu dem Thema hat jetzt der Kirchenjournalist Jürgen Erbacher zusammengetragen. Einig sind sich die Vertreter aus Kirche, Theologie und Politik nicht immer.

 (DR)

Die christlichen Kirchen sollten sich nach Einschätzung des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) nicht aus der Gesellschaft zurückziehen. "Eine radikale Entweltlichung der Kirche, die sich völlig aus dem öffentlichen Raum zurückzöge, wäre für die Gesellschaft ein schwerer Verlust", schreibt Kretschmann in einem neuen Sammelband zur Freiburger Konzerthausrede von Papst Benedikt XVI. im September 2011.



Kretschmann warnt dagegen in seinem Aufsatz vor einem "abgegrenzten, privatisierenden Modell der radikalen Trennung von Kirche und Staat", da in diesem Fall gegenseitiges Unverständnis, Abschottung oder Tendenzen des Fundamentalismus drohten. Statt Rückzug solle sich die Kirche dem Dialog mit der Moderne stellen.



Der vom ZDF-Kirchenjournalisten Jürgen Erbacher herausgegebene 260-seitige Band "Entweltlichung der Kirche? Die Freiburger Rede des Papstes" versammelt 20 Aufsätze von Vertretern aus Kirche, Theologie und Politik. Es entsteht damit ein Überblick über Interpretationsmöglichkeiten und Schlussfolgerungen aus der Papstrede.



"Aufruf zu mehr apostolischer Einfachheit"

Für den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, sollte die Papstrede nicht als politische, sondern vielmehr als genuin theologische Wortmeldung verstanden werden. Keineswegs habe Benedikt XVI. etwa eine Abschaffung des deutschen Kirchensteuersystems oder eine Reform des gesamten Staatskirchenrechts gefordert. "Der Papst will die Hinwendung zur Welt - nicht angepasst, sondern beseelt durch die Andersartigkeit Gottes und die Hinwendung zu ihm", so Zolltisch.



Kurienkardinal Walter Kasper interpretiert die Papstrede als Hinweis auf eine kirchliche "Überinstitutionalisierung" und als Aufruf zu mehr "apostolischer Einfachheit und etwas franziskanischem Geist". Schon das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) habe ausdrücklich vom Verzicht auf weltliche Privilegien und von einer Kirche der Armen gesprochen, so Kasper.



Der Freiburger Religionssoziologe Michael Ebertz kommt in seiner Deutung unter Verweis auf "die chronischen Krisen der katholischen Kirche in Deutschland" zu dem Schluss, der Papst bevorzuge für die Kirche der Zukunft ein Modell der "elitären Minorisierung". Dementsprechend sei für den Papst religiöse Identität wichtiger als soziale Relevanz.



Zu den weiteren Autoren des Bandes zählen unter anderen der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, Caritaspräsident Peter Neher, die Theologen Magnus Striet, Ursula Nothelle-Wildfeuer und Thomas Söding sowie die Kirchenjournalisten Klaus Nientiedt und Ludwig Ring-Eifel.



Hinweis: "Entweltlichung der Kirche? Die Freiburger Rede des Papstes", herausgegeben von Jürgen Erbacher, Verlag Herder Freiburg, 260 Seiten, 14,99 Euro.