Stimmen aus Kirche und Religion zum Rücktritt von Christian Wulff

Respekt, Dank und Erleichterung

Vertreter der Kirchen haben mit Respekt, Dank und Erleichterung auf den Rücktritt von Christian Wulff reagiert. Mit Blick auf das Amt des Bundespräsidenten sprachen sie von einem wichtigen und richtigen Schritt. Ethikrat-Mitglied Eberhard Schockenhoff schlägt im domradio.de-Interview einen möglichen Nachfolger vor.

 (DR)

Der Rücktritt sei zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr vermeidbar gewesen, sagte der Priester und Professor für Moraltheologie in Freiburg, Eberhard Schockenhoff. Wulff sei von seiner Vergangenheit eingeholt worden. Ein möglicher Nachfolger müsse die politisch-moralischen Grundwerte Deutschlands glaubwürdig repräsentieren und "breites Ansehen in allen Schichten der Bevölkerung" besitzen. Als geeigneten Kandidaten bezeichnete Schockenhoff den CDU-Politiker Thomas de Maizière (der inzwischen schon abgewunken hat). Der aktuelle Bundesverteidigungsminister komme aus einem christlichen Umfeld und besäße lange politische Erfahrung. Dadurch sei er auch ein Beispiel dafür, "dass es in der aktiven Politik Menschen gibt, die viele von diesen Eigenschaften aufweisen". Zur Debatte um die künftige Besoldung des zurückgetretenen Bundespräsidenten plädierte Ethikrat-Mitglied Schockenhoff für Großzügigkeit. Wulff habe lange Zeit seines Berufslebens im Dienst des Gemeinwesens gestanden, "da solle man nicht Neidimpulse schüren. Wenn es ihm  juristisch zusteht, hat er auch moralisch das Recht dazu, es zu erhalten." Diskutiert wird gerade, ob Wulff der Ehrensold zusteht, also die Fortzahlung der vollen Amtsbezüge von jährlich 199.000 Euro bis zum Lebensende.



Die katholische Deutsche Bischofskonferenz dankte Christian Wulff für seinen "vielfältigen Einsatz zum Wohl unseres Landes". Zugleich erklärte der Konferenzvorsitzende, Erzbischof Robert Zollitsch, am Freitag in Bonn, Wulffs Rücktritt sei "ein wichtiger Schritt zum Schutz seines hohen Amtes und seiner Person, dem ich Respekt zolle". Wulffs Bemühen um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland sei wichtig gewesen "und bleibt bedeutsam", so Zollitsch weiter. Als Bundespräsident sei Wulff den christlichen Kirchen zudem stets mit Interesse und Wohlwollen begegnet. Er habe Papst Benedikt XVI. nach Deutschland eingeladen und ihn "mit großer Warmherzigkeit" aufgenommen. Zollitsch: "Dafür empfinden wir viel Dankbarkeit."



Als "schmerzhaften, aber für die politische Kultur in Deutschland richtigen Schritt" bezeichnete das Zentralkomitee der deutschen Katholiken den Rücktritt. Nach den Entwicklungen der letzten Wochen handle es sich um eine folgerichtige Entscheidung, erklärte ZdK-Präsident Alois Glück. "In der gegebenen Situation wäre die notwendige Wirksamkeit als Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr möglich", so der CSU-Politiker. Glück betonte, Wulff habe als Bundespräsident zahlreiche drängende gesellschaftliche Themen aufgegriffen und vorangebracht. Als Beispiel nannte er Wulffs Impulse zur verbesserten gesellschaftlichen Integration der Muslime, seinen Staatsbesuch in Israel und seine für die Katholiken in Deutschland "ermutigenden Worte" beim Besuch von Papst Benedikt XVI. in Deutschland. Glück wörtlich: "Christian Wulff war ein Bundespräsident, der eine hohe Sensibilität für die Bedeutung der Religion in der Gesellschaft und den notwendigen Dialog der Kulturen gezeigt hat." Zugleich forderte der ZdK-Präsident auch eine kritische Aufarbeitung über den Umgang der Medien mit der Wulff-Affäre. Für die politische Kultur in Deutschland sei es wichtig, "dass es zu einer angemessenen kritischen Auseinandersetzung mit den Begleiterscheinungen der Berichterstattung kommt, wenn etwa Tatsachen, Gerüchte und Spekulationen miteinander vermengt werden".



Der Zentralrat der Muslime in Deutschland rechnet nach dem Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff damit, dass auch der Amtsnachfolger den "eingeschlagenen Weg der Integration" fortsetzen wird. "Ich setze darauf, dass dieser dann auch wieder für alle Deutsche sprechen wird, also auch für die Muslime", erklärte der Zentralrats-Vorsitzende Aiman Mazyek. Er fügte hinzu, die Muslime hätten ein "uneingeschränktes Vertrauen in unser Rechtssystem". Jeder in Deutschland müsse sich "diesem gegenüber auch im Bedarfsfall stellen, auch ein Bundespräsident". Kritik äußerte Mazyek an der ausführlichen Medienberichterstattung über Wulff. Zu den größten Herausforderungen gehörten "der drohende EU-Finanzkollaps, die bisher unaufgearbeiteten skandalösen Nazi-Morde und die gefährliche Kriegssituation im Nahen Osten und eben nicht die Personalie Wulff". Die Berichterstattung der letzten Zeit habe gelegentlich eher den Eindruck vermittelt, es sei genau umgekehrt.



Der Zentralrat der Juden hat auf den Rücktritt mit "Respekt, Anerkennung und Bedauern" reagiert. Christian Wulff habe Deutschland "nicht nur stets würdig repräsentiert", sagte Präsident Dieter Graumann. Zusammen mit seiner Ehefrau Bettina habe er auch für ein "weltoffenes, junges und dynamisches Deutschland" gestanden, "das seine neue Vielfalt als Bereicherung begreift". Graumann dankte Wulff auch "für seine ganz besondere Aufmerksamkeit und freundschaftliche Verbundenheit". Er würdigte sein "konsequentes Eintreten für die Rechte der religiösen Minderheiten und seine besondere Sensibilität im Umgang mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte".



Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, wertet den Rücktritt als konsequent und befreiend. Die beantragte Aufhebung der Immunität hätte eine unbelastete Amtsführung eingeschränkt, sagte Schneider am Freitag in Hannover. Dieser schmerzliche Schritt verschaffe Wulff die notwendige Freiheit, mit den Vorwürfen angemessen umzugehen. Das hohe Staatsamt, in dem sich die Bürger wiederfinden wollten, gewinne damit an Gestaltungsmöglichkeit zurück, argumentierte der EKD-Ratsvorsitzende, der auch rheinischer Präses ist. Schneider ergänzte: "Die Frage nach Schuld oder Unschuld ist mit dem Rücktritt nicht beantwortet. Dies ist die Aufgabe, die der Justiz zukommt." Der Spitzenrepräsentant des deutschen Protestantismus würdigte Wulffs Engagement für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Schneider erwähnte Wulffs Rede zum Tag der Einheit 2010 in Bremen. Darin hatte Wulff unterstrichen, dass der Islam durch die hier lebenden Muslime selbstverständlich zu Deutschland gehöre. Bei einem Türkei-Besuch habe Wulff gleichermaßen die Zugehörigkeit des Christentums zu diesem Land betont. Für die Christen in der Türkei, denen nach wie vor Religionsfreiheit verwehrt bleibe, sei dies ein wichtiges Zeugnis gewesen, erinnerte Schneider.