Arnoldshainer Hospiztage befassten sich mit der Geschlechterfrage

Den letzten Fragen auf der Spur

Sterben Frauen also anders als Männer? Haben sie ganz spezielle Wünsche und werden diese von begleitenden Frauen und Männern unterschiedlich wahrgenommen? Mit diesen Fragen befassten sich die 22. Arnoldshainer Hospiztage, die am Sonntag in Mainz zu Ende gingen.

Autor/in:
Dieter Schneberger
 (DR)

Hospizarbeit und Pflege von Sterbenskranken haben den ganzen Menschen mit seinen individuellen Bedürfnissen im Blick. Dabei spielt auch das sozial und kulturell geprägte Geschlecht, die sogenannte Genderfrage, eine wichtige Rolle. Die Hospizbewegung habe das Frau- und Mannsein von Sterbenden bisher eher vernachlässigt, räumte die hessen-nassauische Hospizpfarrerin Beate Jung-Henkel vor rund 140 Teilnehmern ein. Nicht einmal der Feminismus und auch nicht die feministische Theologie hätten dazu Antworten formuliert. "Aber vielleicht hat das Tabu auch damit zu tun, dass Hospizbegleiterinnen und -begleiter die Sache vom Ende her denken", so Jung-Henkel: "Im Tod sind alle gleich."



Dabei ist es eine Binsenweisheit, dass die Geschlechterverhältnisse das ganze Leben bestimmen. "Sie lösen sich im Alter nicht einfach auf", bestätigte der österreichische katholische Theologe, Psychoanalytiker und Hospizexperte Erich Lehner. Der Leiter der Abteilung für Palliative Care und Organisationsethik an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt/Wien/Graz ist ein Pionier auf diesem Feld. Zusammen mit seiner Kollegin Elisabeth Reitinger hat er wissenschaftlich nachgewiesen, dass Frauen auch in der letzten Lebensphase anders ticken als Männer.



"Zentral sind für Frauen Spiritualität und soziale Beziehungen. Sie sorgen sich nicht selten auch über ihren Tod hinaus um ihre Liebsten", schildert Reitinger ein Ergebnis der in den Jahren 2009 und 2010 entstandenen Studie. Frauen seien auch "Expertinnen der Emotionen" und wollten sich so lange wie möglich selbst versorgen und ihren Körper pflegen, etwa Frisuren und Fingernägel.



"Dagegen wissen wir nicht, was sterbende Männer wollen", sagte Lehner. Denn sie hätten in der Studie zu dieser Frage geschwiegen. "Wir können allenfalls aufgrund unserer Erfahrungen vermuten, dass Männer in der letzten Lebensphase ihre Autonomie bewahren, Kontakt halten und gut versorgt sein wollen." Es liege ihnen weniger an Körperlichkeit und Emotionalität mit Ausnahme der Tatsache, dass sie mitunter schimpften und Verwünschungen aussprächen.



Pflege ist immer noch Frauensache

Nach den Erkenntnissen von Lehner und Reitinger prägen die unterschiedlichen Lebenslagen von Frauen und Männern auch deren Umgang mit dem Sterben. Etwa dass in der Regel die Berufstätigkeit für Männer und die Familie für Frauen der zentrale Lebensinhalt ist, dass Frauen nur unregelmäßig Erwerbsarbeit leisten und damit auch häufiger von Armut betroffen sind als Männer. Große geschlechtsspezifische Unterschiede gebe es auch beim Trauern und beim Schmerzempfinden.



Nach den Worten von Lehner ist es für die Sterbenden aber nicht von Belang, welches Geschlecht die Pflegeperson hat, denn diese habe in der Regel den Anspruch, geschlechtsneutral zu versorgen und zu begleiten. Tatsache sei aber, dass in Österreich 88 Prozent der Hospizbeschäftigten und 78 Prozent der pflegenden Angehörigen weiblich seien. "Ähnlich dürften die Zahlen für Deutschland aussehen", sagte Lehner.



Pflege sei sowohl in Österreich als auch in Deutschland noch immer Frauensache, bedauerte der Experte. Männer pflegten allenfalls ihre Partnerinnen, nicht aber ihre Eltern oder Kinder. Dass Männer zu wenig die Pflegerolle einnähmen, sei zu deren Nachteil, denn das Sorgen und Kümmern bereichere das Leben. "Es ist ja nicht so, dass Männer das nicht könnten." Wenn mehr Männer im Pflegeberuf wären, "gäbe es auch keinen Pflegenotstand und keine Unterbezahlung", sagte er.



Lehner forderte Politik und Unternehmen auf, die Pflege- und Hospizarbeit aufzuwerten und etwa Pflegezeiten zu ermöglichen. Die Pflege müsse wie etwa in Schweden Teil der Männerbiografien werden. Genauso müsse die Erwerbsarbeit für Frauen selbstverständlich werden. "Um die Strukturen zu verändern, brauchen wir den politischen Kampf", betonte er.



Die Herforder Sozialarbeiterin und Hospizexpertin Verena Begemann rief zu vermehrten Forschungsanstrengungen auf. Den Mitarbeitenden in der Hospizarbeit und im Palliative Care riet sie, stärker zu reflektieren, welche Frauen- beziehungsweise Männerbilder sie in sich tragen und wie sie sterbenden Frauen und Männern begegnen können. Als ersten Schritt empfahl Begemann, Gender-Themen in die Lehrpläne aufzunehmen.