Experten beider Kirchen blicken in die Zukunft

Religion 2030

Gotteskrise, Glaubenskrise, Vertrauenskrise - im Erfurter Augustinerkloster war auch davon die Rede. Aber seit gestern wagen über 70 Wissenschaftler, Theologen und Fachleute aus beiden großen Kirchen vor allem einen Blick in die Zukunft.

Autor/in:
Ingo Brüggenjürgen
"Religion 2030: Die Zukunft der Kirchen in Deutschland" (DR)
"Religion 2030: Die Zukunft der Kirchen in Deutschland" / ( DR )

Auf historischem Boden, dort wo einst Luther als Mönch ins Kloster eintrat und sich im vergangen Jahr Papst Benedikt XVI.  mit seinen evangelischen "Brüdern im Glauben" traf, versuchen die Kirchenexperten, die Rolle der Kirche in den nächsten Jahrzehnten in den Blick zu nehmen. "Religion 2030: Die Zukunft der Kirchen in Deutschland", unter diesem Leitmotto hat die "Bruderhilfe Pax Familienfürsorge" - christlicher Versicherer im Raum der Kirchen - ihr Symposium gestellt.



Gleich zu Beginn stellte Prof. Dr. Michael N. Elbertz vom Zentrum für kirchliche Sozialforschung seine Befragungsergebnisse vor. Während noch eine deutliche Mehrheit der Christen beider Konfessionen an Gott glaubt, gehört Jesus Christus nur noch für gut die Hälfte zur festen Glaubensüberzeugung. "Christentum ohne Christus?", so fragte sich Elbertz, der dem Patienten Kirche zumindest eine Gottesvermittlungskrise diagnostizierte, auch wenn er nicht gleich vom Ende der Volkskirchen sprechen wollte, sondern die Theologen zur Erforschung der "neuen Art der Kirche" ermunterte.



"Attraktiveres Berufsbild für Priester"

Noch deutlichere Worte fand Prof. Dr. Matthias Sellmann von der Katholischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Die Kirchen, insbesondere die katholische, befinde sich derzeit "in einer Art Lähmung". Gerade die Leitungsebene sei davon betroffen. Dabei könnten die kirchlichen Verantwortlichen doch von vergleichbaren anderen Organisationen und Einrichtungen gut lernen, "wie man in einer modernen Informations- und Mediengesellschaft die Freude am Evangelium wirksam verkündigt". Wenn Kirche das Lob Gottes vervielfachen wolle, brauche es insbesondere ein "attraktiveres Berufsbild für Priester". Derzeit würden wichtige kirchliche Mitarbeiter oft in Strukturen "verschlissen und im Alltag aufgerieben".



Er stelle sich die Frage, so Sellmann, warum Priester künftig nicht ihren Wohnort selber wählen, ihren eigenen Berufsweg selber planen und von überflüssigen Verwaltungsaufgaben entlastet werden könnten. Der Priester der Zukunft müsse wieder die Anerkennung erfahren, die er wegen seiner Aufgabe wirklich verdiene, fordert der Theologe. Aber auch bei den Ehrenamtlichen müsse die Kirche so schnell wie möglich nachbessern. Hier gelte es, Anreize und Strukturen zu schaffen, "die das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen wirklich erkennen lassen". Schon heute müsse man den Ehrenamtlichen von morgen viel besser im Blick haben. Letztendlich fehle derzeit auf allen Ebenen der notwendige "Spirit" - es herrsche zu viel individueller Frust und zu wenig freudige Glaubenslust. "Perspektivisch kann eine vom Geist geleitete Kirche doch viel mutiger als heute innovative Freilandversuche bei der Bewältigung der Krise wagen", so sein Appell.



"Noch immer 1. Liga"

Hier setzte auch Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl von der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin an. Der quirlige Theologe sah in seinen Visionen eine Kirche 2030 die "radikaler hoffend, allseits apostolischer, seelsorgend diakonischer, uns vertrauend und tiefgründig liturgischer unterwegs" sei, als er das heute leider beobachte. Insbesondere die Medien müssten zukünftig professioneller in den Blick genommen werden, so Hüdepohl, "wenn einem die Zukunft der Kirche am Herzen liegt" - da waren sich viele Teilnehmer des Symposiums einig.



Einer der hier schon seit Jahren erfolgreich in Richtung Zukunft marschiert, ist der Frankfurter Kapuzinerpater Pauls Terwitte. In seinem engagierten Vortrag sprach er sich für eine viel effizienteres Medienapostolat aus. Es könne nicht sein, so Terwitte, dass die katholischen Entscheidungsträger hier immer noch auf die Kirchenzeitungen setzten, die faktisch nur noch eine verschwindende Minderheit der Christen erreichen. Er arbeite mit seinen Mitstreitern an einem elektronischen Schaukasten für alle Kirchengemeinden. Zuvor hatte schon Prof. Sellmann hier ein stärkeres Engagement eingefordert und die Frage in den Raum gestellt, warum die Kirchen mit all ihrer Power nicht längst z.B. eine "1a-App im Netz haben, die kostenlos und in bester Qualität die Bibel zu den Menschen bringt?" Und dann fand der Theologe auch wieder versöhnliche und aufmunternde Worte: "Wir gehören doch immer noch in die 1. Liga - und wenn sich Woche für Woche gut fünf Millionen Christen in Gottesdiensten, Bibelarbeiten, in Bildung und Kultur auf den Weg machen ist da doch eine riesige Chance!"