CDU-Sozialexperte zur sinkenden Anzahl der jungen Hartz-IV-Empfänger

Kinderarmut sinkt

Die Kinderarmut in Deutschland geht offenbar zurück. Nach einer Auswertung der Bundesagentur für Arbeit ist die Zahl der jungen Hartz-IV-Empfänger in den vergangenen fünf Jahren deutlich zurückgegangen. Im domradio.de-Interview begrüßt Karl-Josef Laumann als Vorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft und CDU-Sozialexperte in NRW die Entwicklung, kritisiert aber die aktuelle Landesregierung scharf.

 (DR)

domradio.de: Herr Laumann, wie bewerten Sie diesen Erfolg?



Laumann: Ich finde es einfach schön, dass sich jetzt der positive Arbeitsmarkt auch bei Langzeitarbeitslosen ein bisschen auswirkt. Wir haben den höchsten Beschäftigungsstand seit 20 Jahren in Deutschland, wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 20 Jahren. Dass nun die Anzahl der Kinder, die in Hartz IV lebt, zurück geht, liegt einfach daran, dass die Eltern Gottseidank Arbeit finden, wovon sie auch leben können.



domradio.de: 1,6 Millionen Kinder in Deutschland leben immer noch in Hartz-IV-Leistungen. Angesichts der Tatsache, dass diese Kinder unsere Zukunft in Deutschland sind, vernachlässigen wir nicht massiv deren Förderung?



Laumann: Man kann ja nur dafür sorgen, dass diese Kinder nicht mehr von Hartz IV leben müssen, wenn deren Eltern einen Arbeitsplatz finden. Deswegen ist es wichtig, dass wir in unserem Land eine Politik machen, durch die wir viele Arbeitsplätze bekommen, im Übrigen auch Arbeitsplätze bekommen für Menschen, die vielleicht nicht so gut qualifiziert sind. Dazu bedarf es weiterhin einer klugen Wirtschaftspolitik, wie sie ja von unserer Bundeskanzlerin in einer hervorragenden Art und Weise gemacht wird.





domradio.de: Wo sind denn die Menschen, die bislang in Hartz-IV gelebt haben? Haben die jetzt alle normale Jobs oder wurden die irgendwo andershin verlagert, z.B. in eine Selbständigkeit mit Zuschüssen oder in 400 Euro-Jobs?



Laumann: Wenn die Anzahl der Kinder in Hartz IV zurückgegangen ist, dann kriegen die Eltern ja auch keine Hartz-IV-Leistungen mehr. Das heißt, dass sie schon einen Job gefunden haben, von dem sie leben können. Das ist ja auch einmal eine schöne Nachricht, dass auch Langzeitarbeitslose eine Chance haben auf einen Arbeitsplatz, der es ihnen ermöglicht, ohne staatliche Transferleistungen ihre Familie und sich selber zu ernähren.



domradio.de: Sind sie sich da immer so sicher, dass diese Familien tatsächlich aus der Armutsfalle heraus sind, wenn sie kein Hartz-IV-Anspruch mehr haben?



Laumann: Das glaube ich schon, denn Hartz IV ist vor allem dann, wenn man Kinder hat, eine Sozialleistung, die in Deutschland so hoch ist, wie ein Stundenlohn auch in vielen Handwerksberufen. Von daher glaube ich schon, dass diese Menschen einen Job gefunden haben, der auch auskömmlich ist. Bei der geringfügigen Beschäftigung muss man immer schauen, wer hat die sogenannten 400-Euro-Verträge? Da sind natürlich auch viele Menschen darunter, die z.B. studieren, viele Rentnerinnen und Rentner, die sich etwas zu ihrer Rente dazuverdienen müssen. Der 400-Euro-Job ist nun mal für viele Menschen ein Zusatzeinkommen und nicht das Haupteinkommen. Denn von 400 Euro alleine im Monat kann niemand leben, dann bekommen die Leute ja auch zusätzlich Hartz-IV-Leistungen.



domradio.de: Wie muss Arbeits- und Sozialpolitik noch besser aufeinander abgestimmt werden? Zum Beispiel wenn wir das Thema Kinderbetreuung anschauen. Da haben Alleinerziehende mit einem niedrigen Gehalt, die Kindern unter drei Jahre zuhause haben, fast keine andere Möglichkeit, als Hartz-IV zu beantragen?



Laumann: Da kommt es sehr darauf an, dass wir die U3-Betreuung schnell ausbauen, wir haben den Eltern versprochen, dass ab 2013 für rund 30 Prozent der Kinder, die geboren werden, ein solcher Betreuungsplatz zur Verfügung steht. Unser großes Problem in NRW ist, dass uns an diesem Ziel noch weit über 40.000 Kitaplätze fehlen. Und die jetzige Landesregierung hat da sehr viel Bürokratie eingeführt, weil sie gerne möchte, dass sich der Ausbau der Kitas einheitlich über das Land vollzieht und hat damit im Grunde das Tempo des Ausbaus erheblich gedrosselt. Die Landesregierung wird dieses Ziel in den nächsten Monaten nicht erreichen können, und damit ist natürlich schon ein großes Problem da. Weil z.B., Alleineerziehende, die keinen Betreuungsplatz finden, auch kein Arbeit annehmen können.



domradio.de: Was wäre nötig, um das zu ändern?

Laumann: Die Regierung von Jürgen Rüttgers hat ja in einem Riesenumfang die Kitaplätze ausgebaut mit einem Riesentempo. Hier müssen wir weitermachen, wir reden mit unseren Kommunalpolitikern darüber, dass sie auch zügig dieses Landesprogramm umsetzen. Dazu gehört es eben aber auch, dass man nicht sagt: "Ihr müsst jetzt erst einmal beantragen und genehmigt bekommen und wenn es beantragt ist wird es noch mal geprüft". Da ist es nötig, dass man, und so war es bis vor zwei Jahren noch in NRW, dass wenn man einen Kitaplatz baut, man anfängt zu bauen und dann fließen die Landesmittel.



Hintergrund

Die Zahl der Kinder, die von Hartz IV leben müssen, geht zurück. Wie die "Süddeutsche Zeitung" am Donnerstag unter Berufung auf die Bundesagentur für Arbeit berichtete, lebten im September 2011 knapp 1,64 Millionen unter 15-Jährige von Grundsicherung, 257.000 weniger als im September 2006. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) bezeichnete die neuen Daten als Beweis des erfolgreichen Kampfes gegen Kinderarmut.

Opposition, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände äußerten sich dagegen zurückhaltend. Trotz des bundesweiten Rückgangs um 13,5 Prozent innerhalb von fünf Jahren sei die Armutsquote noch immer viel zu hoch, lautete die Kritik.



Der Ministerin zufolge haben der Krippenausbau und eine verstärkte Jobvermittlung für Alleinerziehende entscheidend zum Rückgang der Kinderarmut beigetragen. Die Politik der vergangenen Jahre zahle sich aus. In Haushalten mit Kindern sei die Arbeitslosigkeit stärker zurückgegangen als dort, wo keine Kinder sind.



Kritik äußerte die SPD. Zwar sei es gut, dass die Zahl der armen Kinder gesunken sei, doch gäben die Daten keinen Anlass, "innezuhalten und untätig zu sein", sagte Fraktions-Vize Dagmar Ziegler. Die Armutsquoten Alleinerziehender seien nach wie vor alarmierend. Auch die Bedingungen für Menschen im Niedriglohnsektor seien alarmierend. Ziegler forderte ein erhöhtes Kindergeld von bis 324 Euro für Geringverdiener sowie einen gesetzlichen Mindestlohn.



Für die Linken-Fraktion sagte Diana Golze, die Bundesagentur für Arbeit rechne Kinderarmut klein. Sie operiere "mit einseitigen Statistiken und ziehe daraus voreilige Schlüsse". Erfolge im Kampf gegen Armut ließen sich nicht in absoluten Zahlen messen, sagte Golze und betonte, dass die Bundesregierung mit dem Kinderzuschlag und dem Bildungspaket als Instrumenten gegen Kinderarmut gescheitert sei. Markus Kurth, Sprecher der Grünen für Sozialpolitik, sagte, der Rückgang armer Kinder falle angesichts des wirtschaftlichen Aufschwungs bescheiden aus.



Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband sieht keine Trendwende im Kampf gegen Armut in Deutschland. "1,6 Millionen Kinder im Hartz-IV-Bezug sind definitiv noch immer zu viele", sagte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer der Verbandes, im "Deutschlandfunk".

Schneider warf der Bundesagentur für Arbeit "statistische Tricks" vor.



Sie habe sich für ihren Vergleich das Jahr 2006 herausgesucht, in dem die Zahlen von Kindern, die staatliche Hilfe bezogen, am höchsten war. Dadurch erkläre sich der bundesweite Rückgang um 13,5 Prozent: "So bekommt man schöne Zahlen". Vergleiche man dagegen die Jahre 2005 und 2011, dann sinke die Zahl nur um rund sieben Prozent.



Aus der Sicht der Diakonie ist die Entwicklung erfreulich. Der Präsident des evangelischen Wohlfahrtsverbandes, Johannes Stockmeier, sagte dem epd in Berlin aber auch, dass er nur "eingeschränkt beruhigt" sei. Viele sozial schwache Eltern seien zwar nicht mehr auf Hartz IV angewiesen, hätten aber dennoch keine sicheren Jobs. "Dass die Zahl der Hartz IV-Bezieher zurückgeht, ist erfreulich, bedeutet aber längst nicht, dass tatsächlich weniger Kinder in Armut leben müssen", teilte der DGB mit. Zwar hat sich die Zahl der arbeitslosen Hartz-IV-Empfänger verringert, doch gleichzeitig ist die Zahl der erwerbstätigen Hartz-IV-Empfänger auf 1,4 Millionen gestiegen.



Wie die "Süddeutsche Zeitung" weiter berichtete, war der Rückgang armer Kinder im vergangenen Jahr besonders deutlich. Von September 2010 bis 2011 sei die Zahl der unter 15-Jährigen in Hartz-IV-Haushalten um fast 84.000 gesunken.



Dennoch gebe es große regionale Unterschiede: Im Fünf-Jahres-Vergleich schneidet Bayern am besten ab mit einem Minus von gut 22 Prozent. In Stadtstaaten wie Bremen und Hamburg sowie im bevölkerungsreichen Nordrhein-Westfalen lag der Rückgang dagegen zum Teil deutlich unter dem bundesweiten Durchschnitt von 13,5 Prozent. Schlusslicht ist Berlin: In der Bundeshauptstadt hat sich die Zahl der hilfebedürftigen Kinder in diesem Zeitraum nur um 1,2 Prozent verringert. Mehr als jedes dritte Kind unter 15 Jahren lebt der Bundesagentur zufolge in Berlin von Hartz IV. Bundesweit treffe dies auf fast jedes siebte (15,1 Prozent) zu. (epd)