Der Kölner Dom und die Messung von Erdbeben- und Sturmstärke

Sehr sparsames Schunkeln

Über den "Wankenden Dom zu Köln" berichtete der SPIEGEL ONLINE Anfang der Woche, andere Redaktionen zogen nach. Im domradio.de-Interview entwarnt Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner: "Kein Grund zur Beunruhigung, im Gegenteil."

 (DR)

domradio.de: Versetzt Sie die Meldung in Angst und Schrecken?

Schock-Werner: Nein, weil ich das natürlich schon lange wusste. Professor Hinzen, der Leiter der Erdbeben-Messstation in Bensberg, die ein Teil der Universität Köln ist, hat einen Artikel in der Fachpresse für Geologen und Seismologen geschrieben, und auf diesen Artikel ist SPIEGEL ONLINE gestiegen, oder sagen wir es so: hat ihn etwas reißerisch verkürzt. Mit Professor Hinzen kamen wir in Kontakt, als es um historische Erdbeben ging, deren Spuren in der Domgrabung gesucht und nicht gefunden wurden. Aber dann hat er die Domgrabung kennen gelernt und festgestellt, dass es ein idealer Platz für eine seismologische Messstation ist. Die Domgrabung hat Bodenkontakt, ist geschützt, ist zugänglich - ein idealer Platz für die erste Messstation für seismologische Erdbewegungen der Stadt Köln.  



domradio.de: Das war die erste Messstation?

Schock-Werner: Ja, und inzwischen haben wir fünf. Denn aus dieser ersten Messstation ergab sich ein sehr guter Kontakt. Und da haben wir Idee entwickelt, dass es doch wunderbar wäre, wenn man die Bewegung des Gebäudes messen könnte. In den letzten Jahren kamen also mehr Stationen hinzu: eine auf den Gewölben in 50 Metern Höhe, drei im Nordturm, eine auf 75, eine auf 100 und eine auf 130 Metern. Und nicht einmal ein halbes Jahr alt ist eine Wetterstation an der Spitze des Nordturms, die zum Beispiel die Windgeschwindigkeit misst.



domradio.de: Also ein vernetzter und erdbebenbereiter Dom?

Schock-Werner: Nicht nur Erdbeben, das ist nur das eine Problem. Was uns viel mehr interessiert, sind Stürme. Wenn wieder ein großer Sturm kommt, können wir endlich darüber Aussagen machen, wie sehr sich die Domtürme bei welcher Windgeschwindigkeit bewegen. Und wie sie sich bei welchem Erdbeben bewegen. Das waren bisher nur theoretische Berechnungen.



domradio.de: Die 20 Zentimeter, die die Domspitzen wanken?

Schock-Werner: Was nur eine Annahme ist. Jetzt, bzw. beim nächsten Erdbeben und Sturm können wir es messen. Und wenn wir genug Daten gesammelt haben, können wir tatsächlich Aussagen darüber machen, wie sich der Dom ab welcher Beben- und Sturmstärke bewegt, wann ist die Architektur in Gefahr.



domradio.de: Gibt es denn Grund zur Beunruhigung? Müssen wir fürchten, dass der Dom einstürzt?

Schock-Werner: Nein, im Gegenteil. Alle Daten, die wir seither gesammelt haben, zeigen, dass er viel stabiler ist, als man bisher angenommen hat; dass sich die Türme eben weniger bewegen. Und dass auch das Glockengeläut etwa - das war das Erste, was wir gemessen haben mit der Messstation auf den Gewölben -, das Langhaus in etwa ein Fünftel Millimeter Bewegung versetzt. Das ist gar nichts. Und dann zu sagen, dass der Dom beim Glockenläuten schunkelt - wie bei SPIEGEL ONLINE steht? Das ist ein sehr, sehr sparsames Schunkeln!



Das Gespräch führte Uta Vorbrodt.  



Hintergrund

Erdbeben, Glockenschlag und Zugverkehr: Der Kölner Dom gerät in regelmäßigen Abständen ins Schwanken. Dies geht aus neuen Untersuchungen der Universität Köln hervor. Durch das Tsunami-Beben im 9.000 Kilometer entfernten Japan im März 2011 habe sich der Dom mehrmals und vollständig um einen Zentimeter auf und ab bewegt, schreiben die Experten im Fachmagazin "Seismological Research Letters". Bei einem Beben der Stärke 4,4 im rund 90 Kilometer entfernten Koblenz hätten die 157 Meter hohen Türme mehrere Minuten um den Bruchteil eines Millimeters gewankt.

Die leichten Erschütterungen werden offensichtlich durch den Untergrund des Prachtbaus gefördert. Denn die Kirche steht auf etwa 300 Meter dickem Sandboden. Hochrechnungen zufolge könnte ein Beben der Stärke 6,0 in 20 Kilometer Entfernung die Kirchentürme um sieben Zentimeter bewegen, sagte Forschungsleiter Klaus-Günter Hinzen am Dienstag der Nachrichtenagentur dapd. Vor 20 Jahren hatte ein Beben der Stärke 5,4 in 60 Kilometer Entfernung Verzierungen des Prachtbaus abbrechen lassen.

Selbst der "Decke Pitter", die größte frei schwingende Glocke der Welt, rüttelt an dem Bau. Wenn der Klöppel im Südturm zuschlage, schwinge der Nordturm um 0,2 Millimeter, sagte Hinzen, der auch Leiter der Erdbebenstation Bensberg ist. Im Südturm sei die Eruption noch größer.

Im Alltag wanken die Türme im tausendstel Millimeterbereich. Für Menschen sei dies nicht spürbar, sagte Hinzen. Auch der Kölner Hauptbahnhof, den täglich 1.200 Züge passieren, zehrt an der zweithöchsten Kirche Deutschlands. Einen weiteren Einfluss habe die Temperatur. "Bei Frost frieren die Steine und die Schwingungen werden schneller", sagte Hinzen. Dennoch bestehe für das Jahrhunderte alte Bauwerk keine große Gefahr. "Die Türme sind in sich sehr massiv."

Für die Messungen hatten die Geophysiker in den vergangenen Jahren fünf Sensoren an verschiedenen Positionen montiert. Aus den Daten wollen die Wissenschaftler ein Warnsystem für Stürme und starke Erdbeben aufbauen.