Nordkorea-Experte über den Personenkult im kommunistischen Land

"Gottähnlicher Status"

In keinem anderen Land der Welt treibt der Personenkult so absurde Blüten wie in Nordkorea. Nach dem Tod des "geliebten Führers" Kim Jong Il übernimmt nun dessen Sohn Kim Jong Un die Rolle des "großartigen Führers", berichtet der Politik- und Sozialwissenschaftler und Nordkorea-Experte der Freien Universität Berlin, Werner Pfennig. Der Personenkult sei eine wichtige Stütze für den neuen Herrscher.

Nordkorea - Hauptsache staatskonform (KNA)
Nordkorea - Hauptsache staatskonform / ( KNA )

KNA: Herr Pfennig, die Wurzeln des nordkoreanischen Personenkults gehen zurück auf den Gründer des Staates, Kim Il Sung. Welche Bedeutung hat er heute?

Pfennig: Kim Il Sung gilt als die legendäre Vaterfigur, als der "große Führer". Die Mehrheit der Bevölkerung denkt, dass er sie im Koreakrieg (1950 - 1953) gerettet hat. Im ganzen Land, an großen Plätzen und Parks stehen seine Bronze-Statuen und Gedenk-Monumente.

Öffentliche Gebäude sind nach ihm benannt. Die Menschen tragen Anstecknadeln mit seinem Konterfei.



KNA: Nach Kim Il Sungs Tod ging der Personenkult auf seinen Sohn und Nachfolger, Kim Jong Il über.

Pfennig: Nicht gänzlich, der Kult um Kim Jong Il war nicht so ausgeprägt wie um den Staatsgründer. Auf Bildern ist er meist gemeinsam mit seinem Vater zu sehen. Diese Fotos hängen in Kindergärten, Schulen, Fabriken und allen öffentlichen Gebäuden. Und in allen Häusern - das wird von offizieller Seite überprüft.



KNA: Die ersten beiden Herrscher haben die Staatsdoktrin formuliert...

Pfennig: Diese Schriften gelten als sogenannte Staatsreligion Nordkoreas und werden in den Schulen und Universitäten studiert. Zum jeweiligen Neujahr äußert sich der Staatsführer in einem Zeitungsartikel, den die Menschen auswendig lernen müssen. Bei wöchentlichen politischen Versammlungen am Arbeitsplatz, im Wohnviertel oder der Schule werden diese Texte abgefragt.



KNA: Die Kims haben um ihren Ursprung einen Mythos geschaffen...

Pfennig: Über Kim Jong Il wurde die Legende verbreitetet, er sei am heiligen Berg der Koreaner, dem Paektusan, geboren worden. Als er zur Welt kam, sollen die Vögel gesungen, die Blumen geblüht und zwei Regenbogen am Himmel erschienen sein. Dieser Mythos ist nachweislich falsch. Kim Jong Il wurde in der Nähe des sibirischen Stadt Chabarowsk geboren.



KNA: Auch von Göttern sind derartige Geburtsmythen bekannt...

Pfennig: Kim Jong Il, vor allem aber sein Vater, wurde vom System fast gottähnlich dargestellt. Auf Bildern werden sie manchmal mit einer Art Strahlenkranz gezeigt. Mit erhobenem Kopf, ihre Hand weist in die Zukunft. Es heißt, dass die beiden Führer Menschen heilen und Wunder vollbringen konnten. Und dass sie immer zur Stelle waren, wenn Menschen in Not waren.



KNA: Welche Rolle fällt somit den Herrschern zu?

Pfennig: Die Kims haben einen gottähnlichen Status. Der Führer vereint in sich die kollektive Weisheit aller Koreaner. Er zeigt dem Staat und allen 24 Millionen Koreanern den Weg in die Zukunft.



KNA: Das erinnert an andere "große Führer"...

Pfennig: Man kann den Personenkult in Nordkorea am ehesten mit dem Kult um Adolf Hitler oder Mao Zedong vergleichen. So einen massiven Personenkult wie in Nordkorea gibt es sonst nirgends auf der Welt.



KNA: Wird er jetzt nun auch auf Kim Jong Un übertragen?

Pfennig: Die Weisheit und die heiligen Kräfte haben sich auch auf ihn vererbt, sagt der Mythos. Schon jetzt wird er im Land als "großartiger Führer" präsentiert und mit dem Staatsgründer auf eine Stufe gestellt. Diese Legitimation durch Erbfolge ist eine wichtige Stütze für Kim Jong Un. Denn eigene Leistungen kann er bisher kaum vorweisen. Seine Qualifikation für das Amt besteht darin, dass er der auserwählte Nachfolger ist.



KNA: Wirkt der Kult um die Staatsführer für das Koreanische Volk überhaupt glaubwürdig?

Pfennig: Die Gehirnwäsche der staatlichen Propaganda greift bis zu einem gewissen Grad. Ich glaube aber nicht, dass die Masse der Bevölkerung alles glaubt, was man ihr erzählt. Die Nordkoreaner leben in einem System, in dem sie sich anpassen müssen. Sie wissen, was erlaubt ist und worauf Arbeitslager steht. Könnten die Menschen in Freiheit leben, wäre der Personenkult in der jetzigen Form unglaubwürdig.



Das Interview führte Bettina Nöth (KNA)