Syrische Christen in Deutschland befürchten bevorstehende Islamisierung ihrer Heimat

Besser Überwachung als Scharia

Viele syrische Christen haben Angst vor der Revolution in ihrem Land. Sie leiden zwar unter den Repressionen des Präsidenten al-Assad. Sollte dieser gestürzt werden, könnte es ihnen jedoch noch schlechter gehen als bisher, so ihre Befürchtung.

Autor/in:
Judith Kubitscheck
 (DR)

Mariam Gabriel will ihren echten Namen nicht nennen. Die syrisch-orthodoxe Christin aus dem Landkreis Esslingen befürchtet, dass ihre Kritik am System Assad ihrer Verwandtschaft in Syrien schaden könnte, die schon genug unter der jetzigen Situation leide. Vor einigen Wochen hätten in der Stadt Qamischli an der türkischen Grenze vermummte Personen auf ihre Cousins eingeschlagen, als diese in ihrem Gemüsegeschäft arbeiteten, berichtet sie. Wer den Schlägertrupp beauftragt hatte, weiß keiner: "Gott sei Dank sind sie nicht gestorben."



Schon jahrelang habe Baschar al-Assads Überwachungsstaat für Angst und Schrecken unter den Christen in Syrien gesorgt. Wenn sie mit ihrer syrischen Verwandtschaft telefoniere, könne sie nicht offen mit ihnen sprechen, sagt Mariam Gabriel. Es sei "alles in Ordnung" antworteten die Familienangehörigen immer in vielsagendem Ton.



Doch mit Blick auf die derzeitigen Umbrüche in ihrem Land, scheint das Angst-Regime al-Assads für viele syrische Christen die bessere Alternative zum drohenden Chaos oder einer möglichen Machtübernahme durch die Islamisten zu sein. Denn trotz Überwachungsstaat und zahlreicher Repressalien haben Christen in Syrien bisher so viele Freiheiten wie in kaum einem anderen arabischen Land. Der syrische Präsident, der selbst zur religiösen Minderheit der schiitischen Alawiten gehört, gewährt allen Religionsgemeinschaften im säkular geprägten Staat Versammlungsfreiheit und andere Rechte.



Hanna Aydin, Bischof der syrisch-orthodoxen Kirche für Deutschland aus dem westfälischen Warburg im Kreis Höxter, kritisiert die blutige Niederschlagung der Revolution durch al-Assad. Auch wenn die meisten Christen sich nicht gegen den Präsidenten auflehnten, seien sie "keine Regierungsanhänger, sondern Anhänger der Freiheit". Die jetzige Situation sei wahrlich nicht "paradiesisch". "Aber wir haben Angst, dass die Situation noch schlechter wird, wenn die sunnitischen Muslime an die Macht kommen und nach der Scharia regieren", so der Erzbischof.



Religionsfreiheit ist nicht selbstverständlich

Deshalb handelten die syrischen Christen pragmatisch. "Wer uns in Frieden lässt, der ist für uns ein guter Herrscher." Aydin wünscht sich von Europa mehr Verständnis für die Lage der christlichen Minderheit: "Wir Christen können keine großen Forderungen stellen, sonst wird unsere Situation noch schlimmer." Deshalb ist sei es umso wichtiger, dass ausländische Regierungen und Kirchen sich für die Freiheit der religiösen Minderheiten in Syrien einsetzten.



Nach Meinung eines syrisch-orthodoxen Christen aus dem Landkreis Göppingen gehen viele syrische Christen sehr kritisch mit der Situation um. "Christen formulieren überklar, dass der Frieden bewahrt und die Gewalt sofort beendet werden muss." Bevor man als Europäer die vermeintliche Passivität der Christen verurteile, müsse man verstehen, dass ungeheurer Druck auf ihnen laste. "Die Christen vor Ort fürchten nichts so sehr wie eine Islamisierung des Landes."



Dass die Religionsfreiheit nichts Selbstverständliches ist, weiß Gabriel von ihrer Mutter, die aus dem türkischen Tur Abdin, der Heimat der aramäischen Christen, stammt. Dort wurden um 1915 Tausende christliche Aramäer und Assyrer von der osmanisch-türkischen Armee ermordet. Ihre Mutter habe mit ihrer Familie in den 1940er Jahren von Tur Abdin fliehen müssen, berichtet die junge Frau. "Meine Familie hat erlebt, wie schlimm es ist, um sein Leben fürchten zu müssen, weil man Christ ist."



Im Wohnzimmer von Mariam Gabriel hängt ein großer Rosenkranz und ein dickes Holzkreuz an der Wand. In einer Vitrine stehen Jesus-Figuren. Die junge Mutter spricht neben arabisch und deutsch auch aramäisch, die Sprache, die auch Jesus gesprochen haben soll. Die Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien zählt sich nach der Urgemeinde in Jerusalem zur ältesten christlichen Kirche überhaupt.



Gabriel hofft, dass es den Christen in Syrien nicht so ergeht wie ihren Glaubensgeschwistern im Irak: Nach Angaben der dortigen Kirchen sind seit dem Irak-Krieg 2003 mindestens 700.000 Christen aus ihrer Heimat geflohen, nachdem viele von ihnen von Muslimen diskriminiert, verfolgt oder sogar getötet wurden.