Vor 40 Jahren scheitert Klaus Kinski in Berlin mit "Jesus Christus Erlöser"

Und er ward Mensch

"Dieses Gesindel ist noch beschissener als die Pharisäer. Die haben Jesus wenigstens ausreden lassen, bevor sie ihn angenagelt haben." So urteilte Klaus Kinski über seinen Versuch, die Frohe Botschaft zu verkünden. Seine Bühnenrezitation "Jesus Christus Erlöser" geriet bei der Uraufführung zum Debakel.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
 (DR)

Aber selbst noch im Scheitern entfaltete dieser Abend am 20. November 1971 in der Berliner Deutschlandhalle eine Dynamik, die der Größe des Vortragenden wie des Stoffs entspricht. Kinski genoss damals wachsende Bekanntheit als Darsteller negativer Charaktere in Western, Kriminal- und Horrorfilmen. Er war der Kopfgeldjäger Loco in "Leichen pflastern seinen Weg" (1968) oder der irre Renfield in "Nachts, wenn Dracula erwacht" (1970). Zudem gab es genügend Beispiele, dass er auch außerhalb seiner Rollen reizbar und schwierig sein konnte. Dass er mit einer eigenen Adaption der Evangelien auf Tournee gehen wollte, irritierte Bewunderer und Kritiker gleichermaßen.



Ein Fernsehinterview vor der Premiere bediente gegensätzliche Erwartungen. Einerseits beschrieb der 45-jährige Kinski sein Jesus-Projekt geradezu als Berufung. Bisher habe er sein Talent für "stumpfsinnige Produzenten" und "schwachsinnige Filme" verplempert. Jetzt habe er "Gott sei Dank kapiert, dass ich das machen muss und nicht was anderes". Andererseits fiel er auch hier aus der Rolle, beschimpfte die Interviewerin als "Analphabetin" und brach das Gespräch ab.



Nach kaum neun Minuten die erste Eskalation

Zum Premierenabend in der Berliner Deutschlandhalle finden sich um die 5.000 Zuschauer ein; die Stimmung ist gespannt. Als Kinski die Bühne betritt, rufen einzelne "Jesus" und "Halleluja". Kinski beginnt: "Gesucht wird Jesus Christus, angeklagt wegen Verführung, anarchistischer Tendenzen, Verschwörung gegen die Staatsgewalt..." Es mehren sich Zwischenrufe und Gelächter; Kinskis Ton wird schärfer, offiziersmäßiger. "Er trägt nie Uniform", deklamiert er über Jesus, "und hat nie eine große Schnauze".



Letzteres gilt offenbar den Störern. Nach kaum neun Minuten ist die erste Eskalation erreicht, als ein Zuhörer Kinski zurechtweist: Jesus sei sanftmütig gewesen und habe "nicht gesagt: Halt deine Schnauze". Da rastet Kinski aus: "Nein, er hat nicht gesagt: Halt die Schnauze - er hat eine Peitsche genommen und hat ihm in die Fresse gehauen!" Den Mann nennt er "dumme Sau", das Publikum johlt. Es folgen zwei weitere Anläufe und jeweils verbale Schlagabtausche, schließlich die ersten Saalverweise.



Es ist viel darüber diskutiert worden, was den Abend aus dem Ruder laufen ließ. Zweifellos standen etliche Zuhörer dem Vortragenden und seinem Thema ablehnend gegenüber. Sie unterstellten Kinski, mit seinen Filmen "Millionen" gemacht zu haben und jetzt das Ideal der Armut zu predigen. Einige verwechselten wohl den Schauspieler und seine Rolle; alle wussten um die leichte Erregbarkeit des Künstlers.



Nur einer von Millionen

Kinski reizte seinerseits zum Widerspruch: Einsam angeleuchtet auf der dunklen Bühne, predigte er von oben herab. Ein derart autoritativer Stil konnte drei Jahre nach der 68er-Revolte von vielen nur als Provokation verstanden werden; auch nach dem sechs Jahre zuvor beendeten Zweiten Vatikanischen Konzil war er unzeitgemäß.



Aber spät in der Nacht ereignet sich doch noch eine Art Wunder. Die meisten sind gegangen, eine Handvoll bleibt zurück. Zu ihnen steigt Kinski herab, erschöpft, genervt, aber endlich auf Augenhöhe. Seine Stimme ist rau von der Schreierei und den Cognacs, mit denen er sich zwischendurch beruhigt hat. Mit schwerer Zunge bringt er sein 30 Seiten langes Skript zu Ende; fast klingt es wie ein Vermächtnis. Manche Zuhörer haben die Hände gefaltet und die Augen geschlossen, während Kinski von Jesus spricht als der Hoffnung für "Kriegsverweigerer, Verzweifelte, schreiende Mütter in Vietnam, Hippies, Gammler, Fixer, Ausgestoßene, zum Tode Verurteilte".



Er reite nicht auf der Jesuswelle, sondern sei nur einer von Millionen, die seit Jahrhunderten diese Botschaft verkündeten, hatte Kinski in dem Interview gesagt. "Und für meine Begriffe ist das die einzige wirkliche Revolution, die jetzt stattfindet, und die kein Mensch mehr aufhalten kann."