Ethikrat-Mitglied Weihbischof Losinger begrüßt das Stammzell-Urteil

"Entscheidende Weichenstellung"

Die katholische Kirche ist zufrieden: Nach dem deutschen "Stochern im Nebel" auch in der PID-Debatte, so der Augsburger Weihbischof Anton Losinger im domradio.de-Interview, schaffe der Richterspruch zur Stammzell-Forschung aus Luxemburg endlich "deutliche Klarheit".

Der Augsburger Weihbischof Anton Losinger (KNA)
Der Augsburger Weihbischof Anton Losinger / ( KNA )

domradio.de: Der Europäische Gerichtshof hat sein Urteil damit begründet, dass es gegen die guten Sitten verstoße, wenn für die Gewinnung von Stammzellen Embryonen zerstört werden. Wie sehen Sie das?

Losinger: Ja. Dieses Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs ist wahrscheinlich heute ein Ereignis der europäischen Rechtssprechungsgeschichte: Es wird verboten, dass aus menschlichen Embryonen, die zu diesem Zweck zerstört werden, embryonale Stammzellen gewonnen werden und diese patentiert werden dürfen. Es ist völlig klar: Wo solche Zellen und damit auch lebende Organismen patentiert werden, stehen Geschäftsinteressen dahinter - und damit auch ein sehr starker kommerzieller Aspekt. Damit hat das Europäische Gericht heute eine ganz entscheidende Weichenstellung gelegt: erstens für Menschenwürde, Lebensrecht und Lebensschutz von Anfang an, wenn gesagt wird, dass der menschliche Embryo vom ersten Augenblick an schützenswert und von einer Menschenwürde und Menschenrecht umgeben ist; zweitens, dass auch verschiedene Verfahren, zu deren Voraussetzung die Vernichtung menschlicher Embryonen gehört, nicht zulässig sind,. Und vor allem, was den Kommerzialisierungsaspekt angeht - was uns im Bereich der Grünen Gentechnik sehr deutlich einleuchtet -, dass lebende Organismen nicht einem bestimmten Menschen qua Patent gehören können und ihm zur Nutzung gegeben sind.



domradio.de: Abgesehen von der Patentfrage: Warum ist es sittlich oder ethisch nicht korrekt Stammzellen zu verwenden, um damit Menschenleben zu retten?

Losinger: Das ist immer ein interessanter Vorwurf,  zu sagen: Es dient ja der Therapie eines Menschen. Hier müssen wir ganz klar immer wieder auch die therapeutischen Grenzen aufzeigen. Es kann nicht die Therapie eines Menschen möglich sein, dadurch dass ein anderer Mensch getötet wird. Hier ist der Gerichtshof sehr deutlich geworden, wenn er sagt, dass der Mensch in seinem embryonalen Zustand tatsächlich auch mit Menschenwürde und Menschenrecht gesehen werden muss.



domradio.de: Was würden Sie zum Beispiel Parkinson-Patienten sagen oder MS-Patienten, die darauf warten, dass in der Stammzellenforschung endlich ein Durchbruch passiert?

Losinger: Bisher haben wir im gesamten Bereich der embryonalen Stammzellforschung, gerade was Parkinson, Alzheimer und Altersdemenz angeht, außer Versprechen nichts. Es gibt in diesem Zusammenhang und auf diesem Weg bisher keine medizinische Therapie, die erwiesen ist. Deshalb würde ich sagen: Auf der Basis solcher Versprechungen solche Eingriffe in Menschenwürde und Lebensrecht zu machen, ist nicht denkbar.



domradio.de: Was heißt dieses Urteil für die Forschung?

Losinger: Es bedeutet, dass für die Forschung nicht menschliche Embryonen verwendet, getötet und patentiert werden dürfen. Es bedeutet auch, dass Verfahren, in deren Voraussetzung menschliche Embryonen verwendet und getötet werden, nicht möglich sind. Und es bedeutet für die Frage des Verständnisses eines menschlichen Embryos einen ganz starken Lebensschutzaspekt, weil damit für die gesamte europäische Rechtsprechung der embryonale Mensch in einem besonders schützenswerten Rechtsstatus steht.



domradio.de: Geht Ihnen das Urteil des EuGH weit genug? Oder was fordern Sie darüber hinaus zum Schutz der Embryonen?

Losinger: Ich bin sehr froh, dass dieses Urteil sehr grundsätzlich ist. Auch die Bundesjustizministerin begrüßt diese Klarheit. Wir haben sowohl in der PID-Debatte als auch in der Stammzelldebatte in der Bundesrepublik Deutschland mit der berühmten Stichtagsregelung sozusagen auch ein Stochern im Nebel gehabt. Diese europäische Rechtskategorie, die wir mit diesem Urteil haben, schafft hier ein deutliches Stück Klarheit.



Das Gespräch führte Heike Sicconi.