Seit 125 Jahren setzt sich die Deutsche Seemannsmission für Seeleute ein

Zuhause auf Zeit

Im Oktober feiert die Deutsche Seemannsmission ihr 125-jähriges Bestehen, Ende September 1886 wurde die evangelische Organisation gegründet. Seit damals setzt sich das Werk für die Würde der Seeleute ein. Dazu gehört auch der Einsatz für faire und auskömmliche Arbeitsbedingungen.

Autor/in:
Dieter Sell
 (DR)

An den Billardtischen ist eigentlich immer was los. Aber auch vor den Computern im Bremerhavener Seemannsclub "Welcome" ist Betrieb. Via Internet chatten Seeleute mit ihren Familien. Manchmal ist Clubchef Thomas Reinold aber auch seelische Stütze für Männer, die hier unweit des Containerhafens über ihre traumatischen Erlebnisse bei einem Piratenüberfall reden wollen. Der internationale Treffpunkt gehört zu den größten Clubs der Deutschen Seemannsmission.



In Bremerhaven wurde erstmals in Europa hafennah ein Club für Seeleute eröffnet wurde - mittlerweile sogar mit einer eigenen interreligiösen Kapelle ausgerüstet. Jährlich kommen mehr als 30.000 Gäste.



Die schnelle Containerschifffahrt sorgte für Umbrüche. Die Seeleute hatten nicht mehr die Zeit, um lange Wege in Heime und Clubs zu gehen. "Das Geschäft wurde schnelllebiger - also kamen wir zu den Liegeplätzen der Schiffe", bilanziert Proske. "Wir begrüßen Menschen unabhängig von ihrer Hautfarbe, Kultur, Nationalität und Religion", betont Reinolds Kollegin Antje Zeller. "Es ist uns nicht wichtig, ob jemand ein Decksmann oder ein Kapitän ist."



Noch immer in 17 Häfen aktiv

"Gastfrei zu sein vergesset nicht, denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt", verdeutlicht ein Bibelzitat auf dem Grundstein des "Welcome" das Leitbild der Seemannsmission. Ende des 19. Jahrhunderts sah die Lage noch anders aus. Damals wurden die Seeleute in dunklen Hafenspelunken betrogen. Jobvermittler, die sogenannten "Heuerbaas", verlangten Wuchergelder. Die Kirche wollte das ändern: Sie schuf Unterkünfte "für das geistliche und leibliche Wohl". 1891 öffnete die Seemannsmission in Hamburg eine erste unabhängige Jobagentur, eine "Heuerstelle".



"Da entstand Vertrauen", sagt Diakon Reinold. "Noch heute geben uns Seeleute Zigtausende Euro, die wir dann für sie an ihre Familie in die Heimat überweisen." Seit 1952 hat die weltweit arbeitende Organisation ihren Sitz in Bremen. Aufgrund massiv gekürzter kirchlicher Zuschüsse musste die Zahl der Stationen zwar reduziert werden. Doch noch immer können Besatzungen bei den Deutschen in 17 Häfen für ein Zuhause auf Zeit "vor Anker" gehen. So etwa im belgischen Antwerpen, im chilenischen Valparaiso und im westafrikanischen Lomé. Oft sieht es dort aus wie in einem gemütlichen Wohnzimmer - Sofas inklusive.



16 Inlands-Stationen, von eigenständigen Vereinen getragen, ergänzen das Hilfsnetz, darunter eine in Duisburg, dem größten Binnenhafen der Welt. Das Kirchenboot "Johann Hinrich Wichern" ist im Auftrag der Seemannsmission und des evangelischen Binnenschifferdienstes in der Regel an vier Tagen in der Woche in den Häfen entlang der Rheinschiene und im Kanal unterwegs. Seine Besatzung besucht auf diese Weise rund tausend Schiffe pro Jahr. An Bord des Kirchenbootes finden auch Gottesdienste, Taufen und Trauungen statt.



"Die Seeleute bewegen die Wirtschaft"

"Das Geschäft ist global - deshalb kommen zu uns Menschen aus vielen Nationen", sagt Proske. Die Seemannsmission kooperiert mit ihren etwa 700 haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern eng mit christlichen Seemannsmissionen auf anderen Kontinenten. Ihr Jahresetat in Höhe von rund 2,4 Millionen Euro speist sich aus Kirchensteuern, Spenden und freiwilligen Schiffsabgaben der Reeder.



Früher wie heute versteht sich die Organisation als Stimme der Seeleute, die für faire und auskömmliche Arbeitsbedingungen eintritt. Das soll auch in einem Fernsehgottesdienst zum Jubiläum geschehen, der am Sonntag (16. Oktober) vom ZDF aus Bremerhaven übertragen wird. Denn obwohl die weltweit etwa 1,2 Millionen Seeleute den Transport von mehr als 90 Prozent aller Waren möglich machen, bleibt ihr Schicksal meist im Verborgenen.



Besonderes Gewicht legt das Hilfswerk seit einiger Zeit auf die psychosoziale Unterstützung von Piratenopfern. "Die Seeleute bewegen die Wirtschaft", bringt es Proskes Vorgänger Hero Feenders auf den Punkt. "Mit ihrer Arbeit sorgen sie dafür, dass wir auf einem hohen Niveau im Wohlstand leben können. Die Seemannsmission gibt ihnen dafür Rückhalt und Orientierung."