Caritas International fordert Verbot von Spekulation mit Nahrungsmitteln

"Es gibt genügend Essen für alle"

Schlechte Regierungsführung in den betroffenen Ländern und die weltweiten Spekulationen auf Nahrungsmittel sind nach Ansicht des Leiters von Caritas international, Oliver Müller, Hauptursachen für die Hungerkatastrophe in Ostafrika. "Spekulationen mit Grundnahrungsmitteln sollten verboten werden", forderte er kurz vor dem UN-Welternährungstag.

 (DR)

KNA: Herr Müller, weltweit leiden nach aktuellen Studien 925 Millionen Menschen an Hunger. Gibt es überhaupt genug Lebensmittel, um sieben Milliarden Menschen zu ernähren?

Oliver Müller: Es gibt genügend Essen für alle. Die Hungerkrise kann überwunden werden. Doch die Lebensmittel sind nicht fair verteilt, und nicht alle Menschen haben Zugang zu ihnen.



KNA: Was läuft in den betroffenen Ländern schief?

Müller: Eine der Hauptursachen für die Hungerkatastrophe in Ostafrika ist die schlechte Regierungsführung. In Somalia herrscht seit 20 Jahren Bürgerkrieg; Kenia und Äthiopien waren auf die Dürre nicht ausreichend vorbereitet. Die Kleinbauern erhielten dort nicht genügend Unterstützung, um sich an die klimatischen Veränderungen anzupassen. Die Landwirte sind jedoch ein wichtiger Schlüssel zur Überwindung des Hungers.



KNA: Welchen Einfluss haben externe Ursachen?

Müller: Ein Problem ist das sogenannte "land-grabbing", der Kauf oder die Pacht von großen Agrarflächen durch ausländische Investoren. Vor allem afrikanische Staaten sind hiervon betroffen.

In den letzten zehn Jahren wurden weltweit über 200 Millionen Hektar Land von lokalen Eliten oder internationalen Unternehmen erworben.

In der Regel stehen diese Flächen dann nicht mehr für die lokale Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung. So kann es zu der paradoxen Situation kommen, dass in Hungergebieten Lebensmittel für den Export angebaut werden.



KNA: Inwieweit hängen Spekulationen mit Nahrungsmitteln und Hunger zusammen?

Müller: Die Spekulationen mit Grundnahrungsmitteln wie Getreide, Reis und Mais an verschiedenen Nahrungsmittelbörsen haben zu einem starken Anstieg der Lebensmittelpreise geführt. Nach den Preissprüngen im Jahr 2008 sind die Lebensmittelpreise auf einem hohen Niveau geblieben. Es ist davon auszugehen, dass es auch in Zukunft zu Preisschwankungen und letztlich einem weiteren Anstieg der Nahrungsmittelpreise kommt. Für die Menschen in Entwicklungsländern hat das gravierende Folgen. Während in Deutschland Haushalte im Schnitt 15 Prozent des Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben, liegt dieser Anteil in afrikanischen und asiatischen Ländern bei 70 bis 90 Prozent. Diese Menschen haben keinen Spielraum mehr, größere Schwankungen bei Nahrungsmittelpreisen auszugleichen, weil sie bereits jetzt den größten Teil ihres Einkommens dafür ausgeben.



KNA: Was sollte auf europäischer Ebene getan werden, um in Zukunft Hungerkatastrophen zu vermeiden?

Müller: Spekulationen mit Grundnahrungsmitteln sollten verboten werden. Außerdem müssen wir nachhaltiger wirtschaften. Ein klassisches Beispiel sind Tiefkühlwaren, zum Beispiel Hühnchen, die die Europäische Union zu billigsten Preisen an westafrikanische Länder abgibt. Das Fleisch kommt dort zu Dumpingpreisen auf den Markt und schadet den Kleinbauern, die vor Ort nicht so günstig produzieren können. Auch Biotreibstoffe sind kein nachhaltiger Weg, Energieprobleme zu lösen. Denn für den Anbau von Biotreibstoffen werden landwirtschaftliche Flächen genutzt, auf denen vormals Nahrungsmittel angebaut wurden.



KNA: Wie viel Verantwortung tragen die Konsumenten?

Müller: Weltweite Nahrungsmittelgerechtigkeit entscheidet sich auch an der Einkaufskasse, sie ist eine Frage des Verbraucherbewusstseins. Inzwischen bieten immer mehr Unternehmen nachhaltig produzierte Lebensmittel an, z.B. die REWE-Group, die im letzten Jahr für ihre Nachhaltigkeit ausgezeichnet wurde. Natürlich muss man sich auch die Frage stellen, warum in der EU jedes Jahr geschätzte 90 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen werden.

  

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