Hunderttausende protestierten vor 25 Jahren im Hunsrück gegen die Nachrüstung

Wozu sind Waffen da?

Der Rocker Udo Lindenberg war da und der Zukunftsforscher Robert Jungk. Im Hunsrück demonstrierten am 11. Oktober vor 25 Jahren 180.000 Menschen friedlich gegen die Nachrüstung. Es war die bisher größte Demonstration in Rheinland-Pfalz.

Autor/in:
Dieter Junker
 (DR)

Vor 25 Jahren, am 11. Oktober 1986, demonstrierten mehr als 180.000 Menschen unter dem Motto "Frieden braucht Bewegung" im Hunsrück gegen die Stationierung von Mittelstreckenwaffen in Deutschland. Es war die größte Demonstration, die jemals in Rheinland-Pfalz stattfand. Erstmals protestierte die bundesweite Friedensbewegung nicht in einer Großstadt, sondern direkt am Militärstandort Hasselbach, wo als Folge des NATO-Doppelbeschlusses von 1979 insgesamt 96 Cruise Missiles stationiert werden sollten. Mindestens 64 der Marschflugkörper lagerten damals bereits hinter dickem Stacheldraht.



"Es war gewaltig, am 11. Oktober auf dem Beller Marktplatz auf der Bühne zu stehen und zu sehen, wie immer mehr Menschen kamen", erinnert sich Heidrun Kisters aus Kirchberg. Sie war Mitglied der Geschäftsführung des Koordinierungsausschusses der bundesweiten Friedensbewegung und gehörte zu den Organisatoren der Großdemonstration. August von Dahl, vor 25 Jahren evangelischer Gemeindepfarrer von Bell und Moderator bei der Abschlusskundgebung, berichtet von "einer Art Glücksgefühl, so viele Menschen hier im Hunsrück zu sehen".



Im Januar 1986 war die Entscheidung für diese Großdemonstration im Hunsrück gefallen. "Bei der Abschlusskundgebung nach der Menschenkette zwischen Duisburg und Hasselbach auf der Hofgartenwiese 1984 in Bonn hatte ich die Teilnehmer aufgefordert, in den Hunsrück zu kommen und sich anzuschauen, was hier passiert", erzählt Jutta von Dahl aus Bell. Nach längeren Diskussionen innerhalb der Friedensbewegung unterstützten vor allem christliche und unabhängige Gruppen die Demonstration im Hunsrück. Im Koordinierungsausschuss fiel die Entscheidung dann einstimmig. "Bei vielen Gruppen kam die Idee gut an, eine Großdemonstration direkt an einem Stationierungsort zu machen", sagt Heidrun Kisters.



"Gewaltfrei im Hunsrück" hieß das Konzept

Strittig war die Frage nach Blockaden während der Demonstration. "Wir wollten, dass möglichst viele Hunsrücker an der Großdemonstration teilnehmen sollten", erinnert sich Jutta von Dahl. Daher sei man im Hunsrück gegen eine Blockade während der Demo gewesen. Nicht zuletzt, weil es im Sommer 1986 bei Demonstrationen in Wackersdorf und Brokdorf zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen war. "Uns war wichtig, dass die Menschen ohne Angst zur Demo kommen sollten", so Jutta von Dahl. Am Ende setzten sich die Hunsrücker mit ihrer Position durch. Dass 10.000 Hunsrücker mit dabei waren, hatte laut August von Dahl sicher auch damit zu tun, dass es während der Demo keine Blockaden gab.



Auch mit der Polizei wurden im Vorfeld Gespräche geführt. "Gewaltfrei im Hunsrück" hieß das Konzept, mit der die Polizei die Demonstration begleitete. "Wir wollten Vertrauen aufbauen", erläutert August von Dahl die Gründe für diese Gespräche. Es gab Gesprächsrunden, die Polizei verzichtete bewusst auf massives Auftreten mit Schutzschildern und Helmen. "Diese Taktik hat sich bewährt", so der Pfarrer.



Die 180.000 demonstrierenden Menschen in Hasselbach waren deutlich mehr als die Organisatoren erwartet hatten. Drei Stunden lang umschlossen die Demonstranten das Stationierungsgelände, bei der Abschlusskundgebung auf dem Beller Marktplatz sprachen unter anderem der Zukunftsforscher Robert Jungk und die Mainzer Theologin Luise Schottroff. In einer "Hunsrücker Erklärung", die zum Abschluss verlesen wurde, wurde betont, dass man keine Ruhe geben werde, bis sämtliche Atomwaffen aus Europa verschwunden seien.



Der 11. Oktober hat viel verändert im Hunsrück

"Die Großdemonstration 1986 war sicher der Höhepunkt für die Friedensinitiativen hier im Hunsrück", bilanziert Heidrun Kisters, die heute Vorsitzende des Vereins für friedenspolitische und demokratische Bildung ist. "Der 11. Oktober hat viel verändert im Hunsrück", meint auch Johannes Krisinger, damals Revierleiter im Forst rund um das Stationierungsgebiet und heute nach wie vor bei der Hunsrücker Friedensbewegung aktiv. "Viele Hunsrücker waren danach wie umgewandelt." Sie hätten gemerkt, dass es sich bei den Mitgliedern der Friedensbewegung nicht um Chaoten, sondern um ernsthafte Menschen handelte.



August von Dahl erinnert sich an eine "bewegte und bewegende Zeit" damals im Hunsrück. "Es war ein schönes Gefühl, so viele Menschen hier zu sehen, die mit uns einer Meinung waren, dass die Stationierung von Atomraketen nicht richtig ist", sagt auch Gerhard Lorenz aus Bell. Er war damals 1. Beigeordneter von Bell und hatte die Demonstranten bei der Abschlusskundgebung begrüßt. "Diese Augenblicke auf der Bühne, als neben mir Udo Lindenberg und Robert Jungk standen, waren sicher die stärksten Eindrücke meines Lebens", meint er. Und er fügt hinzu: "Es war ein Tag, wie ihn der Hunsrück noch nie gesehen hatte."



Eineinhalb Jahre nach der Großdemonstration, am 1. Juni 1988, trat der zwischen den USA und der Sowjetunion geschlossene Vertrag über Rückzug und Vernichtung von Kurz- und Mittelstreckenraketen in Kraft. In dessen Folge begann im April 1990 der Abzug der Cruise Missiles aus dem Hunsrück.