Vorläufiger Höhepunkt des Konflikts zwischen Kopten und Muslimen

Gewalt mit Vorgeschichte

Otmar Oehring ist Menschenrechtsexperte beim katholischen Hilfswerk Missio. Vor wenigen Wochen hat er sich selber noch vor Ort ein Bild von der Lage in Ägypten machen können. Im Interview mit domradio.de spricht er über Ursachen und Hintergründe der Gewaltausbrüche von Kairo.

 (DR)

domradio.de: Wie können Sie sich diesen Ausbruch der Gewalt erklären?

Oehring: Man muss wissen, dass dieser Gewaltausbruch eine Vorgeschichte hat: Es hat Anfang des Monats zwei versuchte Kirchenzerstörungen in Oberägypten gegeben von Seiten muslimischer Bevölkerungsteile, das hat natürlich die koptische Bevölkerung aufgebracht. Und das ist kein Einzelfall gewesen, sondern entsprechende Übergriffe von Seiten muslimischer Kräfte hat es in den letzten Jahren immer wieder gegeben. Wenn sich das dann irgendwann aufschaukelt, führt das dazu, dass sich auch die koptische Bevölkerung für ihre Rechte einsetzt. Das hat sie gestern Abend versucht.



domradio.de: Würden Sie sagen, dass die Gewalt zwischen Kopten und Muslimen repräsentativ für den Zustand der Beziehungen zwischen den Religionen im Land ist?

Oehring: Das kann man nicht sagen. Es gibt viele Partnerschaften und Freundschaften über die Religionsgrenzen hinweg. Es gibt aber natürlich auch Teile in der Bevölkerung - auf der einen wie auf der anderen Seite -, die tatsächlich permanent der jeweils anderen Seite Vorwürfe machen. Man muss ganz klar sagen, dass die islamische Bevölkerungsmehrheit alleine schon wegen ihrer Größe - 90 Prozent der Bevölkerung - in der stärkeren Position ist, dass es natürlich aus dieser Bevölkerungsmehrheit auch immer wieder Übergriffe auf Christen gegeben hat. Die sind in der Vergangenheit, in der Zeit des Mubarak-Regimes, unterdrückt und im Keim erstickt worden. Das hat man inzwischen nicht mehr. Die Polizei reagiert nicht mehr so schnell, wie sie es früher getan hat. Und das führt natürlich auch zu diesen unschönen Situationen, die man jetzt in den letzten Wochen immer wieder gesehen hat und die am Ende zu dramatischen Entwicklungen führen können, wie heute Nach gesehen.



domradio.de: Warum spitzen sich die Beziehungen zwischen Kopten und Muslimen seit dem Sturz Mubaraks immer weiter zu?

Oehring: Es gibt jetzt Freiheit: Jeder kann seine Meinung weitestgehend frei äußern - und das tun die Leute, sie sind dabei auch etwas unerfahren. Sie nutzen die Freiheit auch in einer etwas wilden Form. Hinzu kommt, dass die beiden Gruppierungen ihre Positionen ganz öffentlich vortragen. Und das führt dazu, dass es von der jeweils anderen Seite Reaktionen gibt. Damit soll das Vorgehen, insbesondere in der gestrigen Nacht, in keiner Weise kleingeredet werden. Ein entscheidender Punkt war hier sicher auch das Verhalten des Militär-Regimes, das momentan an der Macht ist, und das ganz offensichtlich seine Macht auch über den Wahltag hinaus sichern will.



Das Gespräch führte Christian Schlegel.