Kinderschutzbund begrüßt Aktionsplan zum Schutz von Kindern und Jugendlichen

Dunkelfeld muss erforscht werden

Im domradio.de-Interview erläutert Heinz Hilgers, der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, die positiven Elemente des Plans, kritisiert aber auch dass die Frage der Finanzierung noch offen geblieben sei.

 (DR)

domradio.de: Die Familienministerin sagt: "Die schrecklichen Missbrauchsfälle in Institutionen und in Familien zeigen, dass mehr getan werden muss." Was soll denn mit dem beschlossenen Aktionsplan jetzt mehr getan werden? --
Heinz Hilgers: Der Aktionsplan greift ja die vielen Vorschläge des Runden Tisches gegen sexuellen Missbrauch auf, sowohl im Berech Prävention als auch im rechtlichen Bereich, wo es um die Frage von Verjährungsfristen geht, wie auch um die Frage des erweiterten Führungszeugnisses für Menschen, die mit Kindern zusammenarbeiten. Der Plan enthält eine Fülle von präventiven, aber auch helfenden Vorschlägen und ist damit insgesamt ein gutes Papier.



domradio.de: Da scheint ja richtig etwas in Gang gesetzt zu werden, Sie bewerten die konkreten Vorschläge als positiv?--
Hilgers: Insgesamt ja. Ich hätte mir in einigen Fragen mehr gewünscht, die sind auch drängend und dringend. Zum Beispiel die Frage der Finanzierung der Kinderschutzzentren und Beratungsstellen vor Ort. Da wird jetzt in dem Positionspapier dargelegt, dass man zunächst einmal eine Erhebung plant. Da gibt es aber vor Ort ganz große Probleme, denn die Menschen, die dort arbeiten, die exquisiten Fachleuten, die Kinderschutzzentren und Beratungsstellen leiten, die sind einen Großteil, ihrer Arbeitszeit unterwegs, um Spenden zu akquirieren. Und die zittern jedes Jahr darum, ob sie einen ausgeglichenen Haushalt hinbekommen und ob es ihnen gelingt, im nächsten Jahr weiter zu existieren. Und seit Jahren steigen die Kosten stärker als die Zuschüsse der Kommunen und sie müssen im Gegenteil sogar Kürzungen erleben. Denen geht es durchweg schlecht. Diese Stellen sind überlastet und deswegen hätte ich mir gewünscht, dass man hier die Dinge nicht mit einer Untersuchung auf die lange Bank schiebt, sondern dass es hier zu einer Verpflichtung der Kommunen gekommen wäre, hier eine Regelfinanzierung vorzunehmen. Und der zweite Bereich, der mir noch sehr wichtig erscheint, ist, dass man jetzt in dem parallel laufenden Beratungs- und Kinderschutzgesetz für Kinder, die zum Beispiel in Obhut genommen werden, die sonstige Sorgen, Nöte und Ängste für sich haben, einen eigenen Rechtsanspruch auf Beratung aufgenommen hätte. Einen Rechtsanspruch, der nicht abhängig von den Erziehungsberechtigten ist. Das ist deshalb wichtig, weil zum Beispiel beim Thema des sexuellen Missbrauchs ein Kind im Durchschnitt acht Erwachsene ansprechen muss, bis ihm jemand glaubt, bis ihm geholfen wird. Da wäre eine kompetente Beratung, an die ein Kind sich wenden kann, vor Ort wichtig. Und für die Kinder in den Heimen und Internaten, die in einem besonderen Gewaltverhältnis leben und wo es ja gerade auch zu schwerwiegenden Übergriffen sexueller Art gekommen ist, fordern wir einen Anspruch auf ombudschaftliche, vom Träger des Heimes und vom Jugendhilfeträger unabhängige Beratung.



domradio.de: Da ist also schon noch einiges zu tun, trotzdem gibt es auch viel Lob für den Aktionsplan, zum Beispiel von SPD und Arbeiterwohlfahrt, die sagen, der Entwurf "weist in die richtige Richtung". Welche Chancen ergeben sich denn aus den Neuerungen?--
Hilgers: Ich habe schon die Hoffnung, dass nach Abschluss der Untersuchungen in ein, zwei Jahren etwas geschieht. Und worauf ich Wert lege, ist, dass jetzt endlich einmal auch wieder das Dunkelfeld erforscht wird. Das ist das letzte Mal 1992 geschehen. Sie müssen sich das vorstellen: Fast 20 Jahre lang ist das gesamte Dunkelfeld eines Themas wie des sexuellen Missbrauchs nicht mehr wissenschaftlich erforscht worden. Und wenn ich sage, ungefähr 80.000 bis 120.000 Kinder werden in Deutschland sexuell missbraucht, dann sind das Schlussfolgerungen aus den Zahlen von vor 20 Jahren. Und ich habe zwar nach den vielen Gesprächen mit unseren Kinderschutzzentren und Beratungsstellen keinen Anlass zur Hoffnung, dass es weniger geworden wäre, aber trotzdem ist das natürlich eine hohe Unsicherheit, wenn die wirklich wissenschaftlich fundierte Erforschung des Dunkelfeldes 20 Jahre alt ist. Und da bin ich sehr froh, dass da Geld in die Hand genommen wird und jetzt endlich einmal ein guter Forschungsauftrag erteilt wird. Das sind alles gute Signale und auch sonst hat der Entwurf fast alles übernommen, was am Runden Tisch von ganz vielen Beteiligten erarbeitet wurde. Dafür von mir gewiss erst einmal ein Lob. Aber die beiden Wünsche, die ich genannt habe, die halte ich nicht für unwichtig.



Interview: Aurelia Plieschke

Hintergrund

Das Bundeskabinett hat am Dienstag einen Aktionsplan zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung beschlossen. Mit dem Aktionsplan werden nach Angaben des Bundesfamilienministeriums unter anderem Empfehlungen umgesetzt, die durch den "Runden Tisch Sexueller Kindesmissbrauch" erarbeitet wurden.



Als Handlungsfelder nennt das Papier neben anderen die Prävention, digitale Kommunikationsnetze sowie den Handel mit Kindern zum Zweck internationaler Ausbeutung. Eine bundesweite Fortbildungsoffensive soll Fachkräfte zum Thema Vorbeugung und Verhinderung sexueller Gewalt informieren, Eltern sensibilisieren und Kinder und Jugendliche gegen Gefahren stärken.