Kirchen gedenken der Opfer des 11. Septembers 2001

Der Versuchung des Hasses widerstehen

Führende Vertreter der Weltreligionen und der Politik haben am Sonntag in München der Opfer der Anschläge in den USA vor zehn Jahren gedacht. Unter den Teilnehmern der Gedenkfeier war auch Bundespräsident Christian Wulff. Sie bildete den Auftakt zum diesjährigen Weltfriedenstreffen, das auf Einladung der Gemeinschaft Sant'Egidio und der Erzdiözese München und Freising bis zum Dienstag stattfindet.

Kardinal Marx in München: Neue Antworten finden für das weltweite Miteinander (KNA)
Kardinal Marx in München: Neue Antworten finden für das weltweite Miteinander / ( KNA )

Erzbischof Reinhard Marx forderte in seiner Rede ein Umdenken im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Die direkte Abwehr der Gewalt reiche nicht aus, sagte der Kardinal. Notwendig seien vielmehr auch neue Initiativen für den Frieden und das Miteinander in einer globalen Welt, in der unterschiedliche Religionen Platz haben müssten.



Marx kritisierte, in dieser Hinsicht sei "das letzte Jahrzehnt ein verlorenes Jahrzehnt gewesen". Er fügte hinzu: "Wir haben uns wohl allzu sehr in Kriegsszenarien und Kampfesrhetorik bewegt. Wir müssen neu lernen, dass unsere Welt nur zukunftsfähig sein kann in einer Ordnung der Gerechtigkeit und der Solidarität, mit Kräften der Versöhnung, des Friedens und des Miteinanders."



Der Kardinal betonte, auch zehn Jahre nach den Terrorakten könne das Geschehene nicht als aufgearbeitet gelten. Denn die Konsequenzen dieser menschenverachtenden Tat seien bis heute spürbar. Marx fügte hinzu: "Die Gewalt setzte sich fort in kriegerischen Auseinandersetzungen, in je neuen Reaktionen von Gewalt und Gegengewalt, eine Kette, deren Ende noch nicht absehbar ist."



Marx warnt vor "Logik der Rache"

Der 11. September 2001 sei "auch ein Auftrag, sich nicht der Logik der Rache, der Gewalt und der Feindschaft zu unterwerfen", sondern sich tapfer und mit langem Atem für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen. Die nach München gereisten Religionsvertreter wollten sich in diese Bewegung einreihen und zeigen, dass Religionen Quelle des Friedens, des echten Dialogs und der Versöhnung sein wollten.



Marx fügte hinzu: "Wir wehren uns entschieden gegen den Missbrauch des Namens Gottes, gegen jede Gewalt, Ausbeutung, Unterdrückung im Namen der Religion. Sich auf Gott zu berufen und unschuldige Menschen zu töten, ist Blasphemie."



Bereits am Morgen hatte Marx im Liebfrauendom dazu aufgerufen, sich von Terror und Gewalt nicht entmutigen zu lassen, sondern an der "großen Hoffnung festzuhalten, dass die Welt besser werden kann". Schritt für Schritt lasse sie sich zum Guten hin verändern.



Montag wird Merkel in München erwartet

Zum Friedenstreffen werden Spitzenvertreter aus Religion und Politik aus aller Welt erwartet. Wulff sollte am späten Nachmittag die Eröffnungsrede halten. Am Montag soll Bundeskanzlerin Angela Merkel sprechen, am Dienstag Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU). Ferner haben EU-Vize-Kommissionspräsident Antonio Tajani, der slowenische Präsident Danilo Türk, der Vorsitzende der Kommission der Afrikanischen Union, Jean Ping, sowie Minister aus Italien, der Türkei, dem Libanon und Israel ihr Kommen zugesagt.



Erwartet werden auch Religionsführer aus aller Welt. Das Programm umfasst 40 Podiumsveranstaltungen zu Fragen der internationalen Politik und des Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen.



Die katholische Kirche in Deutschland warnte außerdem davor, im Kampf gegen den Terrorismus elementare Standards des Rechtsstaats auszuhöhlen. Muslimische Glaubensüberzeugung dürfe nicht pauschal mit Gewaltbereitschaft gleichgesetzt werden, heißt es in einem Bischofswort mit dem Titel "Terrorismus als ethische Herausforderung".



Religionen erinnern am Brandenburger Tor an 11. September

Vertreter von acht Religionen haben vor dem Brandenburger Tor der Opfer der Terroranschläge vom 11. September gedacht. Mit Friedensgebeten, Klagegesängen und einem großen runden Tisch, an dem von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang Religionsvertreter miteinander diskutierten, solle ein Zeichen des Friedens gesetzt werden, sagte die Sprecherin des Bündnisses "Religionen für den Frieden", Ortrud Wohlwend.



"Wir wollen deutlich machen, dass alle Religionen für Frieden stehen", unterstrich Wohlwend. Eine Lehre aus den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sollte sein, dass sich die Religionen näherkommen, sagte Elisabeth Raiser, evangelische Präsidentin des ersten Ökumenischen Kirchentags 2003. Dabei sollte das Augenmerk nicht auf dem Gewaltpotenzial der Religionen liegen, sondern stattdessen auf die Überwindungsfähigkeit der Gewalt gerichtet werden.



Teilnehmer der Gedenkveranstaltung sowie Passanten bildeten vor dem Wahrzeichen der Bundeshauptstadt eine Friedenstaube. Zu den Mitorganisatoren des Bündnisses gehören Vertreter verschiedener christlicher, jüdischer und muslimischer Verbände sowie der Bahaii. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und das Erzbistum Berlin unterstützen das Projekt offiziell nicht.



Papst Benedikt XVI.: Solidarität, Gerechtigkeit und Frieden

Auch Papst Benedikt XVI. hat der Opfer der Anschläge vom 11. September 2001 gedacht und zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker aufgerufen. "Ich appelliere an die Verantwortlichen der Nationen und alle Menschen guten Willens, Gewalt als Lösung für Probleme stets abzulehnen und der Versuchung des Hasses zu widerstehen", sagte der Papst am Sonntag nach dem Angelus-Gebet in Ancona.



An die Stelle von Hass müssten Solidarität, Gerechtigkeit und Frieden treten, forderte Benedikt XVI. nach einer großen Messe mit rund 100.000 Teilnehmern zum Abschluss des nationalen Eucharistischen Kongresses in der Adriastadt. Benedikt XVI. war am Sonntagvormittag zu einem eintägigen Besuch in Ancona eingetroffen.



Bereits am Samstag hatte Benedikt XVI. alle Erscheinungsformen des Terrorismus verurteilt. "Terrorismus kann unter keinen Umständen gerechtfertigt werden", heißt es in einem Brief des Papstes an den Erzbischof von New York, Timothy Dolan. Dass die Attentäter vorgegeben hätten, im Namen Gottes zu handeln, mache die "Tragödie dieses Tages" noch schlimmer, schreibt der Papst.



Zugleich gedachte der Papst der unschuldigen Opfer des "brutalen Angriffs" und rief zur Achtung der Menschenrechte auf. "Jedes menschliche Leben ist in den Augen Gottes wertvoll und es darf keine Mühe gescheut werden, um in der Welt einen Geist des Respekts für die unveräußerlichen Rechte und die Würde aller Menschen und Völker zu fördern", heißt es in dem Brief weiter. Die Bevölkerung der Vereinigten Staaten lobte der Papst für den "Mut und die Großzügigkeit" ihrer Hilfe für die Opfer sowie für ihre Bereitschaft, wieder mit Hoffnung und Vertrauen in die Zukunft zu schauen. Der Papst versprach sein Gebet für eine "globale Kultur der Solidarität".