Weihbischof Jaschke zu den Anschlägen des 11. September 2001

"Das bleibt für mich ein Schock bis heute"

Durch die islamistischen Anschläge von New York und Washington geriet vor 10 Jahren ein ganzes Weltbild ins Wanken, meint der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke. Im Interview spricht Jaschke, der in der Deutschen Bischofskonferenz für den interreligiösen Dialog zuständig ist, über christlich-muslimische Initiativen und neue Bedrohungen seit "9/11".

Autor/in:
Sabine Kleyboldt
Weihbischof Jaschke: Ehe und Homopartnerschaft nicht egalisieren (KNA)
Weihbischof Jaschke: Ehe und Homopartnerschaft nicht egalisieren / ( KNA )

KNA: Herr Weihbischof, einer der Todespiloten des 11. September 2001, Muhammed Atta, ging regelmäßig in einer Moschee im Hamburger Stadtteil Sankt Georg ein und aus, gar nicht so weit von Ihrem Büro entfernt...

Jaschke: Ich bin ihm bewusst nie begegnet, aber wenn man sein Foto betrachtet, wirkt er wie ein kluger Mann. Er studierte an der Universität Harburg und hatte einen Kreis von Mitstudenten, mit denen er sich zum Beten traf. Dass ein intelligenter Mensch sich in einen religiös begründeten mörderischen Fanatismus verirrt, war für mich ein Schock und bleibt es bis heute.



KNA: Wie konnte es überhaupt dazu kommen?

Jaschke: Huntingtons Schlagwort vom "Kampf der Kulturen" bestimmt seit Jahren die Debatte. Der 11. September ist Fanal für einen solchen Kampf. Wir müssen alles tun, dass diese Entwicklung nicht

weitergeht: eine westliche Welt gegen eine Welt, die unter dem Namen des Islam einen gemeinsamen Nenner findet. Das vertieft Gräben und Gegensätze.



KNA: Welche Reaktionen erleben Sie bei Gesprächen mit Muslimen?

Jaschke: Alle vernünftigen Vertreter des Islam haben sich sofort von den Attentaten distanziert. Aber wenn die ganze Welt auf die Muslime zeigt und sagt, "im Namen eurer Religion geschieht so etwas", belastet das schon die Situation. Ein Generalverdacht kann dazu führen, dass sich eine gewisse Solidarität einstellt: "Wir Muslime werden angegriffen und müssen zusammenhalten".



KNA: Fünf Jahre nach dem 11. September hat Papst Benedikt XVI. seine berühmte "Regensburger Rede" gehalten. Ein sinnvoller Akt?

Jaschke: Es war eine sehr kluge und vernünftige Rede, aber die verkürzte Botschaft, die überkam, lautete: Vorsicht vor den Irrationalitäten des Islam. Darauf klagten viele Muslime, auch der Papst stelle sie nun an den Pranger. Aber: In Folge der "Regensburger Rede" gab es auch die Briefe der islamischen Gelehrten an den Papst und andere christliche Autoritäten. Sie betonen das Gemeinsame von Islam und Christentum, die Einheit von Gottes- und Nächstenliebe, den Glauben, der keine Gewalt ausübt. In dieser Spur ist einiges in Gang gekommen - wenngleich zurzeit eher Stillstand eingetreten ist, bedingt auch durch die politischen Verhärtungen und noch nicht überschaubaren Aufbrüche in der arabischen Welt.



KNA: In Deutschland ist das Zusammenleben von Christen und Muslimen inzwischen weitestgehend Normalität. Wie sehen Sie das als Kirchenvertreter?

Jaschke: Die Muslime haben ein großes Interesse, als gleichberechtigte religiöse Partner anerkannt zu werden und etwa einen Status wie die Kirchen gewinnen. Sie möchten ihren Glauben öffentlich sichtbar zum Ausdruck bringen, Moscheen bauen und schulischen Religionsunterricht anbieten. Da wünschen sie unsere Unterstützung.



KNA: Befürworten Sie diese Forderungen?

Jaschke: Ja, aber angesichts von gut vier Millionen Muslimen und etwa 60 Millionen Christen, im Blick auf unsere Geschichte und unsere Traditionen, haben die Christen in Deutschland ein unvergleichbar stärkeres, auch kulturelles Gewicht. Daher wäre es übertrieben zu sagen, der Koordinationsrat der Muslime stehe auf einer Ebene mit der evangelischen und der katholischen Kirche und ihren komplexen Strukturen. Ich als Bischof habe ein hohes pastorales Interesse daran, dass Muslime in Deutschland ihren Glauben und ihre religiösen Bräuche leben können. Sie dürfen in unserer westlichen Gesellschaft mit der Tendenz, alles einzuebnen und Gott zu verlieren, nicht untergehen.



KNA: In Europa gibt es aber diffuse Ängste vor dem Islam, wie es die Anschläge in Oslo und auf der Insel Utoya im Juli deutlich gemacht haben.

Jaschke: Das Massaker von Norwegen zeigt, dass es in unserer westlichen Welt einen Bodensatz gibt, einen dumpfen Sumpf, aus dem der Kampf gegen "Überfremdung" wachsen soll. Das ist eine böse Kehrseite unserer Gesellschaft. Als Kirchen- und Gottesmann erinnere ich aber in unseren scheinbar aufgeklärten Gesellschaften daran:

Ideologische Vorwände hin oder her, es gibt immer das abgrundtiefe Böse im menschlichen Herzen, gegen das wir nicht gefeit sind. Dem müssen wir, auch aus der Kraft des Glaubens, mit wachem Auge entgegensehen.



KNA: Kann der Schock, den die Attentate des 11. September verursacht haben, je überwunden werden?

Jaschke: Der 11. September darf nicht das große Menetekel bleiben. Die Lehre daraus: Bauen wir Brücken zwischen Christen und Muslimen. Wir wollen unsere Identitäten wahren, aber sehen, was uns verbindet. Immerhin hat der 11. September auch dazu geführt, dass viele wachgeworden sind: Gewalt im Namen der Religion kann niemals gerechtfertigt oder entschuldigt werden.



Das Interview führte Sabine Kleyboldt.